Die Zeit ist nahe: Kommissar Kilians dritter Fall
tausendjährigen Leiche herauslesen?«, fragte er.
»Ja, und wahrscheinlich auch, ob er gerne Frankenwein getrunken hat«, lästerte ich. »Diese Vorlesungen in Geschichte beginnen mich zu langweilen, Signora. Ich hatte gehofft, dass Sie in meiner Abwesenheit etwas herausgefunden haben, das uns auf die Spur des Mörders bringt. Aber wie ich feststellen muss, scheint Sie das nicht im Geringsten zu interessieren.«
»Wie ich Ihnen schon sagte, Herr Kilian, der Mörder ist Ihr Problem. Mein Auftrag lautet: Finde den Zylinder. Und soweit ich mich erinnern kann, ist dies ein wesentlicher Bestandteil unseres Abkommens und nach der jüngsten Entwicklung auch der eindeutige Auftrag Ihres Dienstherrn, dank meiner Intervention.«
Also war sie es doch gewesen, die Oberhammer in die Knie gezwungen hatte. Allmählich wurde aus der anfänglichen Abneigung gegen die römische Dame eine handfeste Wut. Weniger gegen sie persönlich als gegen die Fäden, die sie zu spinnen befähigt war, denn sie machten mich von ihr abhängig.
Ich beschloss, vordergründig auf ihre Forderungen einzugehen, bis ich ihre Schwachstelle erkannt hatte und sie auszunutzen in der Lage war. »Was schlagen Sie nun vor?«, fragte ich.
»Dass wir uns nochmal an die Fundstelle des Opfers begeben, nicht des bemitleidenswerten Paters Nikola wegen, möge er ruhen in Frieden, sondern um das Gelände abermals einer gründlichen Untersuchung nach dem Zylinder zu unterziehen.«
»Aber das haben wir doch schon zigmal gemacht«, intervenierte Heinlein lustlos. »Meine Kollegen vom Erkennungsdienst …«
»… haben vielleicht auch mal was übersehen«, beschied sie und stieg ohne ein weiteres Wort in den Wagen.
Die Suche im Rokokogarten war wie befürchtet ergebnislos verlaufen. Das Gleiche erwartete ich in der angrenzenden Kirche St. Vitus, die ebenfalls von der Spurensicherung in die Untersuchung mit einbezogen worden war. Der Verdacht, dass sich Nikola vor seinem gewaltsamen Ableben hier aufgehalten haben könnte, war berechtigt; fand man ihn doch in ritueller Haltung, nämlich auf Knien, wenige Meter entfernt im Park.
Die Stadtkirche von Veitshöchheim beherbergt einen Altar zu Ehren der heiligen Bilhildis oder ursprünglich Bilihild. Diese Dame aus vornehmem Haus soll, was nicht eindeutig geklärt ist, nicht nur die Klostergründerin von Altmünster bei Mainz gewesen sein, sondern sie wird auch mit einer ruchlosen Fürstin in Verbindung gebracht. Ihr Name: Gailana – das geile Stück, wie aus manchem Priestermund zu hören war, und angeblich die Frau des damaligen Herzogs Gozbert, ihres Schwagers. Diese Ehe war laut Überlieferung durch das von Kilian geforderte Verbot der so genannten Leviratsehe in ihrer Existenz bedroht, und Gailana schaffte sich das Problem durch Meuchelmord vom Hals. Dieser Tod war einer der Grundpfeiler für die anschließende Kilian-Verehrung als Märtyrer.
Dass die Gailana-Theorie in Bezug auf den Auftragsmord und auf die Bilihild hinkt, war Mittelpunkt von Yasminas Ausführungen, während wir die Kirche nach einem möglichen Versteck durchsuchten. Heinlein war nicht mehr von ihrer Seite loszulösen und hörte ehrfürchtig ihre Worte. Sie war sich dessen bewusst und genoss es.
»Wenn man die Quellen genauer untersucht, wird man die weitläufige Meinung, die Iren hätten Probleme mit Frauen gehabt, neu hinterfragen müssen. Denn viele Culdeer waren verheiratet«, referierte Yasmina. »Man muss jedoch kritisch festhalten, dass die Frau als gottgeweihte Jungfrau sich des Lobes der Kirchenväter sicher sein durfte. Allerdings zu einem hohen Preis: Sie hatte ihre Jungfräulichkeit zu behalten. Dadurch wurde sie natürlich ein gehöriges Stück ›entweibt‹, da sie ihr Geschlecht verleugnen und sich in Enthaltsamkeit üben musste. Hieronymus drückt es so aus:
›Solange die Frau für Geburt und Kinder lebt, besteht zwischen ihr und dem Mann derselbe Unterschied wie zwischen Leib und Seele; wenn sie aber Christus mehr dienen will als der Welt, wird sie aufhören, ,Frau’ zu sein, und ,Mann’ wird man sie nennen, weil wir wünschen, dass alle vollkommen zum Mann erhoben werden.‹«
Von der Empore aus sah ich Heinlein stutzen. »Also, ich weiß nicht, ob das meiner Claudia gefallen würde. Wobei, Tendenzen zur Selbstbestimmung und zur Persönlichkeitsentfaltung habe ich bei ihr schon festgestellt.«
Ich musste grinsen, wenn ich an Heinleins Frau Claudia dachte, wie sie sich täglich neu erfand, um bestimmten Weibsbildern aus
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