Die Zeit-Odyssee
Süden formieren sich indes andere Kolonnen, Männer aus
Dublin und Delhi, aus Kalkutta und Colchester, zusammengehalten
von gemeinsamem Drill und gemeinsamen Zielen, bereit, für
die Witwe in Windsor ihr Leben zu geben…‹ Die
Schlagmänner stehen auf dem Spielfeld, die Schiedsrichter
sind so weit, die Querhölzer sind in Position, der
Torhüter ist bereit. Und wir stehen hier direkt an den
Seilen der Spielfeldgrenze! Was sagst du dazu, eh,
Josh?«
»Du kannst wirklich unangenehm sein, Ruddy.«
Doch noch ehe Ruddy antworten konnte, stürzte Cecil de
Morgan ins Zimmer. Das Gesicht des Händlers war hochrot, er
keuchte, und seine Kleider waren voller Staub. »Sie
müssen sich das sofort anschauen, Sie beide! Kommen Sie mit
und sehen Sie sich mit eigenen Augen an, was man gefunden
hat!«
Seufzend wälzte Josh sich vom Bett. Würde dieser
merkwürdige Tag denn überhaupt kein Ende nehmen?
Es war ein Schimpanse – das war jedenfalls Joshs erster
Gedanke. Ein Schimpanse, gefangen in einem Tarnnetz, der
teilnahmslos auf dem Boden lag. Ein kleineres Bündel in
seiner Nähe enthielt ein weiteres Tier, vermutlich ein
Junges. Man hatte die Netze an durchgesteckten Stangen ins Lager
transportiert. Zwei Sepoys waren gerade dabei, das
größere Tier aus seinem Netz zu schälen.
De Morgan stand wachsam und um Atem ringend dicht daneben, als
wollte er seinen Besitzanspruch geltend machen. »Ein paar
gemeine Soldaten auf Patrouille haben die beiden nur eine Meile
nördlich von hier gefunden.«
»Das sind bloß Schimpansen«, stellte Josh
fest.
Ruddy zupfte an seinem Schnurrbart. »Aber ich habe noch
nie von Schimpansen in diesem Teil der Welt gehört. Gibt es
in Kabul einen Zoo?«
»Der kommt aus keinem Zoo«, keuchte de Morgan.
»Und es ist auch kein Schimpanse! Vorsichtig,
Jungs!«
Die Sepoys hatten das Netz entfernt. Das Tier lag
eingerollt da, die Knie an die Brust gezogen und die langen Arme
über dem Kopf verschränkt; sein Fell war
blutgetränkt. Die Männer hielten Holzknüppel in
den Händen, die sie hin und her schwangen wie
Schlagstöcke; Josh sah die Schrammen, die sie auf dem
Rücken des Tieres hinterlassen hatten.
Jetzt schien das Tier zu bemerken, dass man das Netz entfernt
hatte. Es ließ die Arme sinken, und in einer
plötzlichen fließenden Bewegung rollte es sich vom
Boden ab und kam in eine hockende Stellung, die
Fingerknöchel leicht auf die Erde gestützt. Erschrocken
traten die Männer einen Schritt zurück, und das Tier
starrte sie an.
»Es ist ein Weibchen!«, flüsterte Ruddy.
De Morgan richtete den Finger auf einen der Sepoys. »Mach, dass es aufsteht!«
Widerstrebend trat der Sepoy, ein stämmiger Mann,
wieder vor. Er streckte seinen Stock aus und stieß das Tier
damit leicht in den Steiß. Es knurrte und schnappte mit
seinen großen Zähnen danach, doch der Sepoy ließ nicht locker. Schließlich streckte die Kreatur
anmutig – und mit einer gewissen Würde, glaubte Josh
zu erkennen – ihre Beine und stand aufrecht.
Josh hörte, wie Ruddy nach Luft schnappte.
Kein Zweifel, sie hatte den Körper eines Schimpansen mit
schlaffen Zitzen, geschwollenen Geschlechtsteilen und rosa
Hinterbacken. Auch ihre Gliedmaßen hatten
Affenproportionen. Aber sie stand aufrecht auf zwei für
einen Affen eher langen, geraden Beinen, die deutlich sichtbar
genau so mit dem Becken verbunden waren wie die eines
Menschen.
»Gütiger Gott«, sagte Ruddy, »das ist
das Zerrbild einer Frau! Eine Missgeburt!«
»Keine Missgeburt«, entgegnete Josh,
»sondern halb Mensch, halb Affe. Ich habe darüber
schon gelesen. Die modernen Biologen sprechen schon eine Weile
davon – von Geschöpfen, die zwischen uns und den
Tieren stehen.«
»Nun?« De Morgans Blick wanderte von einem zum
andern; Habgier und Spekulation lagen darin. »Haben Sie
jemals schon so etwas zu Gesicht bekommen?« Er umkreiste
das Geschöpf und musterte es prüfend.
Mit starkem Akzent sagte der stämmige Sepoy: »Sehen Sie sich vor, Sahib! Sie ist zwar nur vier Fuß
groß, aber sie kann kratzen und beißen, glauben Sie
mir!«
»Kein Affe, sondern ein Affen-Mensch… ! Wir
müssen sie nach Peschawar schaffen und von dort nach Bombay
und dann nach England! Denken Sie nur, welch eine Sensation das
für die dortigen Tiergärten wäre! Oder vielleicht
sogar für die Theaterbühne… Es gibt nichts
Vergleichbares – nicht einmal in Afrika! In der Tat, eine
Sensation!«
Das kleinere
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