Die Zeit-Odyssee
Drüberstreuen. Die
wissen noch nicht, dass es manchmal notwendig ist, ein
Stück nachzugeben. Für sie ist Krieg der einzige
Weg.«
Bisesa sah ihn nachdenklich an. »Diese Einsichten ist
man von dir gar nicht gewöhnt, Casey.«
»Quatsch«, murmelte er und schlüpfte rasch
wieder in die Rolle des bösen Buben, knackte mit den Fingern
und lachte gackernd. »Aber irgendwie macht’s auch
Spaß! Wir hocken hier zwar mitten in der Scheiße,
aber Alexander der Große gegen Dschingis Khan – das
muss man sich erst mal vorstellen! Wie viel sie dir im
Pay-per-View wohl für sowas in Rechnung stellen
würden?«
Bisesa wusste, was er meinte, auch sie hatte ihr
militärisches Training hinter sich gebracht: Gemischt in die
Furcht, in den Wunsch, all dies wäre nicht Wirklichkeit und
sie könnte jederzeit nach Hause, erhob sich ein Gefühl
freudig angespannter Erwartung.
Sie gingen langsam aus dem Thronsaal, während sie
redeten, spekulierten und planten.
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EIN HIMMELSPRINZ
Nach einem Tag und einer Nacht allein im Dunkeln wurde Kolja,
die Arme von Seilen aus Pferdehaar auf dem Rücken
zusammengebunden, zu Yeh-lü gebracht und vor ihm zu Boden
geschleudert.
Kolja hatte nicht die geringste Lust auf Folter, also redete
er sofort und gestand Yeh-lü, was er getan hatte, soweit er
sich erinnern konnte, was er Casey alles über Funk
erzählt hatte. Als er geendet hatte, verließ
Yeh-lü wortlos die Jurte.
Sables Gesicht erschien über ihm. »Das hättest
du nicht tun sollen, Kolja. Die Mongolen wissen genau, welchen
Stellenwert Informationen haben, das hast du doch in Bischkek
gesehen. Ein schlimmeres Verbrechen hättest du gar nicht
begehen können, nicht mal mit einem linken Haken gegen
Dschingis persönlich!«
Er flüsterte: »Kann ich ein bisschen Wasser
kriegen?« Er hatte nichts zu essen und zu trinken bekommen,
seit man ihn am Vortag ertappt hatte.
Sie ignorierte seine Bitte. »Du weißt, dass es nur
ein Urteil geben kann. Ich habe mich für dich eingesetzt und
sagte ihnen, du wärst ein Prinz, ein Prinz direkt vom
Himmel. Und jetzt lassen sie Milde walten – sie
vergießen doch kein königliches
Blut…«
Er brachte gerade so viel Speichel zusammen, um ihr ins
Gesicht zu spucken. Als er sie zum letzten Mal sah, lachte sie
hinab auf ihn.
Sie brachten ihn nach draußen, die Arme immer noch
hinter dem Rücken gefesselt, und legten ihn flach hin. Vier
kräftige Soldaten pressten ihn an Schultern und
Füßen auf den Boden. Einer von Dschingis’
Befehlshabern, der einen Keramikbecher in den dick behandschuhten
Händen trug, trat aus einer Jurte. In dem Becher befand sich
geschmolzenes Silber, von dem der Offizier Kolja etwas in ein
Auge goss, dann etwas ins andere, dann etwas in ein Ohr und den
Rest ins zweite.
Danach spürte er, wie er hochgehoben, weggetragen und in
ein Loch geworfen wurde, das nach frisch ausgehobenem Erdreich
roch. Er konnte das Hämmern nicht hören, als die
Bretter über seinem Kopf festgenagelt wurden, ebenso wenig
wie seine eigenen grässlichen Schreie.
{ 34 }
WAS WOHNT
IN ZEIT UND RAUM
Alexander verordnete seiner Armee eine tägliche Kost aus
hartem Training. Das meiste davon entsprach der mazedonischen
Tradition und bestand in ausgiebigen Dauermärschen,
reichlich Laufen mit schweren Lasten und Kämpfen Mann gegen
Mann.
Es gab Versuche, die britischen Truppen ins mazedonische Heer
zu integrieren, doch nach einigen Probeläufen war klar, dass
kein britischer Kavallerist oder Sowar gutgenug war, um
mit Alexanders Berittenen mitzuhalten; stattdessen wurden die
Tommies und Sepoys ins Herz der mazedonischen Infanterie,
die »Gefährten zu Fuß«, aufgenommen.
Aufgrund der kulturellen und sprachlichen Barrieren war eine
gemeinsame Befehlskette nicht möglich, aber den Tommies
wurde wenigstens die Bedeutung der wichtigsten Trompetensignale
der Mazedonier beigebracht.
Abdikadirs Arbeit mit der Kavallerie schritt voran, obwohl,
wie von Eumenes vorhergesagt, die ersten Ansätze, die
Mazedonier mit Abdis Steigbügel-Prototypen reiten zu lassen,
eher einen Zug ins Komische annahmen. Die
»Gefährten« zu Pferde, das ranghöchste
Regiment der Armee, rekrutierte sich ausschließlich aus
Söhnen mazedonischer Adelsgeschlechter, deren Uniform in
einer leicht abgeänderten Version auch Alexander selbst
trug. Als man diesen stolzen Männern zum ersten Mal
Steigbügel zumutete, hieben sie die
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