Die Zeit-Odyssee
als nur
Diplomatie, dass er die persische Art angenommen hatte;
vielleicht hatte er sich von der Pracht und dem Reichtum dieses
Reiches verführen lassen.
Während der Reise saß sein unterwürfiger
Weissager Aristander an seiner Seite, ein bärtiger alter
Mann mit stechenden, berechnenden Augen in einer schmutzigen
weißen Tunika. Bisesa vermutete, dass der zitternde Alte in
Sorge war, wie sich die Anwesenheit von Leuten aus der Zukunft
auf seine Stellung als offizieller Hellseher des Königs
auswirken könnte.
Die ganze Zeit über lehnte der persische Eunuch namens
Bagoas nonchalant an der Rückseite des Throns. Er war ein
hübscher, stark geschminkter Junge in einem langen,
durchscheinenden Gewand; von Zeit zu Zeit strich er dem
König sanft über den Hinterkopf. Und Bisesa
amüsierte sich heimlich über die missbilligenden
Blicke, die Hephaistion diesem Geschöpf zuschoss.
Alexander hingegen hockte zusammengesunken auf seinem Thron.
Es war Bisesa nicht schwer gefallen, mithilfe des Telefons
herauszufinden, an welchem Punkt in seiner Karriere sie ihm nun
begegnete. Und so wusste sie mittlerweile, dass er
zweiunddreißig war, doch ungeachtet seines kraftstrotzenden
Körpers wirkte er irgendwie verbraucht. Nach jahrelangen
Feldzügen, bei denen er seine Männer selbst im
dichtesten Kampfgetümmel mit einer aufopfernden Tapferkeit
angeführt hatte, die manchmal an Tollkühnheit gegrenzt
haben musste, machten Alexander die Folgen etlicher schwerer
Verwundungen zu schaffen. Er schien sogar Probleme beim Atmen zu
haben, und wenn er von seinem Thron aufstand, dann sichtlich nur
unter Aufbietung seiner ganzen Willenskraft.
Es war ein eigenartiger Gedanke, dass dieser immer noch junge
Mann nun bereits über mehr als zwei Millionen
Quadratkilometer Land herrschte, und dass der Lauf der Geschichte
von seinen Launen abhing – und noch merkwürdiger war
es, sich daran zu erinnern, dass die Erfolgskurve seiner Laufbahn
ihren Scheitelpunkt bereits überschritten hatte. Sein
– historischer – Tod sollte in wenigen Monaten
bevorstehen, und die stolzen, loyalen Offiziere, die ihm jetzt
folgten, würden damit beginnen, Alexanders Herrschaftsgebiet
auseinander zu reißen; Bisesa fragte sich, welches neue
Geschick ihn nunmehr erwartete…
Mitten am Nachmittag wurde der Marsch unterbrochen, und die
Armee organisierte sich umgehend zu einer Satellitenstadt der
weit auseinander gezogenen Zeltmetropole weiter unten im
Indusdelta.
Das Kochen, so schien es, war ein langwieriger und
komplizierter Vorgang, und es dauerte seine Zeit, bis die Feuer
brannten und es in den Töpfen und Kesseln blubberte. Doch in
der Zwischenzeit wurde getrunken, Musik gemacht, getanzt und
sogar ein wenig Stegreiftheater gespielt. Die Händler
stellten ihre Buden auf, und ein paar Prostituierte huschten
durch das Lager, ehe sie in den Zelten der Männer
verschwanden. Aber die meisten weiblichen Wesen hier waren Frauen
oder Mätressen von Soldaten. Außer Inderinnen gab es
Mazedonierinnen, Griechinnen, Perserinnen, Ägypterinnen und
ein paar exotische Exemplare, etwa aus Skythien oder Baktrien
– Länder, von denen Bisesa kaum wusste, wo sie lagen.
Viele von ihnen hatten Kinder, darunter sogar schon Fünf-
und Sechsjährige, deren Haut- und Haarfarben ihre
komplizierten Stammbäume verrieten; im Übrigen war das
Heerlager erfüllt von geradezu bizarr anmutendem
Babygeschrei.
Nachts lag Bisesa in ihrem Zelt und versuchte zu schlafen,
während das Greinen von Kindern, die Lustschreie von
Liebespaaren und die düsteren Klagelieder trunkener
heimwehkranker Mazedonier an ihr Ohr drangen. Bisesa war für
Aufgaben ausgebildet worden, bei denen sie für wenige
Stunden an den Ort ihres Einsatzes geflogen wurde; das
hieß, dass sie kaum je länger als einen Tag vom
Stützpunkt weg war. Alexanders Soldaten hingegen waren zu
Fuß von Mazedonien quer durch ganz Eurasien marschiert und
bis an die Nordwestgrenze Indiens gekommen. Sie versuchte sich
vorzustellen, wie es gewesen sein musste, Alexander jahrelang zu folgen und dabei in so abgelegene und
unerforschte Gebiete zu kommen, dass der Feldzug, auf dem sich
die Armee jeweils befand, ebenso gut auf dem Mond hätte
stattfinden können.
Nachdem sie einige Tage unterwegs gewesen waren, gab es unter
den Mazedoniern und ihrem Gefolge Klagen über absonderliche
Krankheitserscheinungen. Diese Infektionen erwischten die Leute
sehr schlimm, und es
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