Die Zeitbestie
wogenden Staubwolken der Explosion, wobei er Kurs auf den Ausgangspunkt der Rakete nahm. Eine Stunde später erreichte er den Rand des Plateaus und schlug sein Lager auf – versteckt hinter einem Felsen, der mit großen Quarzkristallen besetzt war. Im Zelt, sicher gegen die Atmosphäre draußen abgeschottet, nahm sich Tack Zeit, um sich satt zu essen und zu trinken, ehe er, wieder im Schutz der Maske, hinausging und an den Rand des Plateaus trat. Vor ihm lag eine Ebene, durchzogen von Flüssen, an einer Seite dem Vormarsch eines Feldes aus erstarrter Lava ausgesetzt. Überall lagen Gesteinstrümmer herum, der Schutt irgendeiner lange zurückliegenden Katastrophe.
Dort unten lagen jedoch auch die Reste von Konstruktionen weniger natürlichen Ursprungs, die Tack ohne die Lektionen des Pädagogen nicht erkannt hätte. Denn dort sah er die Ruinen der kompletten Forschungsstation, die Cowl durch Zeit und Raum von Callisto mitgenommen hatte. Angesichts dieses Wracks dachte Tack an die ausgeplünderten Raumschiffe zurück, die neben Pig City verrotteten. Eindeutig waren das Fahrzeuge aus der Umbrathan-Flotte, die Cowl ebenfalls durch die Zeit gezerrt hatte.
Die Ebene wurde schmaler und lief in einer Halbinsel aus, umgeben von einem goldenen Meer, in dem sich der zitronengelbe Himmel spiegelte. An einer Seite der Halbinsel ragte Tacks eigentliches Ziel auf – was nicht die Ruinen unter seinem jetzigen Standort waren, denn Cowl hatte in den drei Jahrhunderten seit seiner Flucht neu gebaut.
Die Zitadelle ruhte auf einem Wald aus Säulen über dem Meer und erinnerte an eine geöffnete Seerose. Das Bauwerk war ebenso schön wie riesig. Obwohl Tack noch zehn Kilometer davon entfernt war, schätzte er, dass die von Lichtern funkelnden Oberseiten der Blütenblätter die Wolken durchdringen mussten. Dort also lebte Cowl – und dort sollte er, wie Tack es plante, auch sterben.
Das Bauwerk hockte auf einer Basaltplatte oberhalb eines Abhangs. Dieser fiel zu dem breiten, aber flachen Fluss ab, den sie gerade durchquerten. Das Bauwerk war kuppelförmig und ringsherum von engen Bögen eingefasst, und nur schmale Stellen der Außenwand erreichten zwischen diesen Bögen tatsächlich den Boden. In den meisten dieser Bögen glänzten Fenster, aber Polly sah, dass einer den Weg ins Innere freigab. Sie war jedoch zu müde, um immer wieder den Kopf zu drehen und sich die Konstruktion anzusehen, also gab sie auf und blickte den Weg zurück, den sie gekommen waren. Sie waren jetzt in hellem Mondschein unterwegs, und Polly versuchte, sich an Abschnitte der bisherigen Reise zu erinnern, aber sie war so oft eingenickt, dass alle Eindrücke undeutlich ineinander schwammen.
»Wie heißt du eigentlich?«, krächzte sie schließlich ihre Reisegefährtin an.
»Vor meiner Geburt nannte mich meine Mutter Amanita { * } , weil ich sie im Mutterleib vergiftet hatte und daraus entfernt werden musste, um meine Entwicklung in einem Wachstumstank abzuschließen. Sobald ich dazu in der Lage war, habe ich mich selbst umbenannt und mir den Namen Aconite gegeben.«
»Warum?«
»Weil er mir passend erschien.«
Polly stellte fest, dass sie keine Kraft mehr hatte, um dieser Frage weiter nachzugehen, also ließ sie den Kopf hängen und war eine Sekunde lang weg. Als sie von neuem zu sich kam, stellte sie fest, dass sie jetzt am anderen Ufer waren und im Begriff standen, den Abhang zu jener Konstruktion zu ersteigen, die wahrscheinlich eine Art Haus war.
Aconite ist ein interessantes Wort.
Sie sah Nandru neben dem Roboter hergehen. Er blickte neugierig zu der seltsamen Frau hinüber.
»Und warum?«, fragte Polly laut.
Es ist ein anderer Name für die Giftpflanze, die auch Eisenhut oder im Englischen ›Mönchskapuze‹ genannt wird.
»Und warum ist das interessant?«
Wie ich sehe, erkennst du es nicht. Du musst dich mehr anstrengen. Da du heutzutage so eng mit der Referenzdatenbank von Muse verbunden bist, steht dir die Information zur Verfügung.
»Ich begreife es immer noch nicht …« Aber dann sah sie es. »Ich wusste bislang gar nicht, was ›Cowl‹ eigentlich bedeutet. Ich verstehe … ›Cowl‹ ist die Bezeichnung für eine Mönchskapuze.«
Auf einmal bemerkte sie, dass ihr robotisches Verkehrsmittel angehalten hatte. Sie drehte sich um und sah, dass Aconite dastand und sie betrachtete. Ein Blick in die andere Richtung zeigte, dass der illusionäre Nandru verschwunden war.
»Jetzt wird mir klar, dass deine Worte nicht gänzlich auf ein
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