Die Zeitensegler
weitere Gefahr gerieten. Genau das würde jedoch geschehen, wenn die Legionäre den Schiffsrumpf verlassen vorfinden würden.
Sie richtete sich auf und hustete einem der Legionäre, der sie bewachte, direkt ins Gesicht. Der Schock, den sie den Soldaten mit ihrer erfundenen Krankheit versetzt hatte, saß immer noch tief. Der Legionär schreckte zusammen, ließ sein Pilum fallen und taumelte erschrocken zurück, wobei er sich mit beidenHänden das Gesicht rieb. Die Angst der Römer vor unbekannten Krankheiten schien einer wahren Panik zu gleichen.
Noch während der Legionär taumelnd zurücktrat und sich hysterisch das Gesicht rieb, rannte Nin-Si blitzschnell durch die entstandene Lücke zwischen den Soldaten hindurch. Im nächsten Moment war sie auch schon auf der Holzplanke angelangt, die hinüber zum Römerschiff führte. Aus den Augenwinkeln heraus bemerkte sie, dass die anderen Legionäre die Verfolgung aufnahmen: allen voran der Legionär, dem die Augenbraue fehlte.
Nin-Si rechnete jeden Moment damit, eingeholt und von einem Speer durchbohrt zu werden.
Sie beschleunigte ihr Tempo und raste die Planke hinunter.
Die ersten Legionäre der Quinquereme kamen schon vom anderen Ende der Holzplanke auf sie zugerannt, um ihr den Weg zu verstellen, als Nin-Si sich mit aller Kraft von der Holzplanke abstieß und weit neben dem Ende des Stegs mitten auf dem römischen Schiff landete.
Noch immer wurden keine Speere nach ihr geworfen. Noch immer hatten die Römer es nicht geschafft, sie einzuholen. In ihren schweren Rüstungen fiel es ihnen gewiss nicht leicht, ein geschicktes, wendiges Mädchen zu verfolgen.
Nin-Si rannte jetzt quer über das römische Schiff, wich wieselflink einigen Legionären aus, die sich ihr mit Pilum und Schild in den Weg stellten, und hechtete die Planke auf der anderen Seite wieder herunter.
Sie hatte das karthagische Hafengelände erreicht.
Nin-Si lachte. Noch vor wenigen Sekunden hätte sie nicht daran geglaubt, diesen Boden lebendig zu erreichen. Im Rennen drehte sie sich kurz um und stellte erleichtert fest, dass dieLegionäre des Zenturios es noch nicht einmal bis zur Quinquereme geschafft hatten. Gerade tauchte an der Bordwand der Narbengesichtige auf, wie Nin-Si ihn inzwischen getauft hatte.
Nin-Si warf einen letzten Blick zurück und atmete auf. Sie hatte es geschafft: Die Römer waren abgelenkt. Der Schiffsrumpf war vergessen! Es war ihr gelungen, ihren Freunden Zeit zu verschaffen.
Sie wandte sich wieder um und wollte weiterrennen, doch da prallte sie gegen einen Menschen und fiel hintenüber. Ein Mann hatte sich ihr in den Weg gestellt. Wieder ein Römer, doch eindeutig kein Legionär. Auch kein Zenturio. Dieser Mann war höheren Ranges, das konnte Nin-Si sofort erkennen: Er trug keine Rüstung, sondern eine weiße, mit Goldspitzen versehene Toga. Seine Füße steckten in aufwendig gearbeiteten Sandalen. Nin-Si ließ ihren Blick zu seinem Gesicht hinaufwandern. Unter kurz geschnittenen, gelockten Haaren blickten ihr zwei hellwache Augen entgegen. Der Mund verzog sich zu einem spöttischen Grinsen.
»Nun, was habe ich mir denn hier gefangen?«, grinste er. Grob packte er sie am Arm und zerrte sie auf die Füße.
Jetzt fanden sich auch die Legionäre ein, die Nin-Si verfolgt hatten.
Und auch der Zenturio und sein narbengesichtiger Optio näherten sich schnell mit roten Gesichtern.
Die Legionäre bildeten unverzüglich einen Halbkreis um das Mädchen und den Fremden, zückten wieder ihre Speere, und nun entdeckte Nin-Si auch den Soldatentrupp, der den Fremden eskortierte. Sogar ein Fahnenträger war unter ihnen. Kein Zweifel: Nin-Si hatte es hier mit einer hochgestellten Persönlichkeit zu tun.
»Seht mal, was ich im Hafen gefangen habe«, spottete der Fremde und hielt Nin-Sis Hand in die Höhe. »Und dabei habe ich nicht einmal ein Netz ausgeworfen, um diesen prächtigen Fisch einzuholen.«
Der Zenturio lachte gezwungen, wie auf Befehl.
»Verzeiht«, stieß er nach Atem ringend hervor. Er schien das Laufen nicht mehr gewöhnt zu sein. »Wir waren gerade dabei, sie wieder einzufangen. Sie ist uns für einen Moment entwischt.«
Nin-Si wunderte sich über den unterwürfigen Tonfall des Zenturios. Sein vorher herrisches Benehmen war einem untertänigen, ja schmeichelnden Tonfall gewichen.
Der Fremde war dem Zenturio an Rang offensichtlich sehr weit überlegen.
»Ja, für einen Moment entwischt«, lachte der Fremde spöttisch zurück. »Das habe ich beobachten können. Ich
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