Die Zeitreisen des Zacharias Jones (Flucht aus dem Mittelalter) (German Edition)
bekommst.“
Zacharias warf sich den Beutel über die Schulter, nicht ohne vorher das flache Holzstück hineinzulegen, an dem er die Nacht zuvor so lange geschnitzt hatte. Der Professor verknotete das Seil sorgfältig an dem Eisenring neben der Feuerstelle. Dann stemmte er den Fuß gegen die Wand und zog kräftig daran.
„Das sollte wohl halten.“ Zufrieden nahm er das Fell von der Fensteröffnung und ließ das andere Ende des Seils hinausgleiten.
Zacharias kletterte auf die steinerne Brüstung. Der Nachthimmel musste voller Wolken sein, denn weder Mond noch Sterne waren zu sehen. Die Dunkelheit war fast vollkommen. Günstige Bedingungen für das, was er vorhatte. Selbst wenn jemand zum Turm hochschauen würde, wäre er kaum zu entdecken. Von unten war kein Geräusch zu hören. Weder im Hof noch auf dem Wehrgang konnte er Wachtposten ausmachen. Wahrscheinlich genügte es in Friedenszeiten für die Sicherheit der Burg, dass das Tor nachts geschlossen wurde.
Er prüfte noch einmal den Sitz der Lederstücke an seinen Füßen, die ihm als Schuhe dienten. Sie durften während des Abstiegs nicht verrutschen, wenn er es heil nach unten schaffen wollte. Dann war er bereit. Er sah den Professor an. „Einen langen Abschied ersparen wir uns, oder?“
Der Professor nickte. „Ich wünsche dir viel Glück, Zacharias. Pass auf dich auf. Jetzt hängt alles von dir ab.“
Sie gaben sich feierlich die Hand.
„Ob wir uns an einem anderen Ort noch einmal treffen werden?“
„Lassen wir uns überraschen.“ Professor Freising lächelte. „Die Zeit wird es zeigen.“
Zacharias zögerte. „Vielleicht sollten Sie besser mit mir kommen.“
„Ich bin kein guter Kletterer. Und mit meiner frisch verheilten Wunde schon gar nicht. Nein, das wäre keine gute Idee. Du gehst besser allein.“
Zacharias legte sich bäuchlings auf das Fenstersims, sodass seine Füße über den Außenrand der Brüstung ragten. Dann robbte er rückwärts, bis er nur noch mit dem Oberkörper und den angewinkelten Ellenbogen auf dem Stein lag und seine Beine nach unten ba umelten. Mit den Fußspitzen fuhr er sacht über die Außenmauer, bis er die erste der breiten Spalten zwischen den Steinquadern fand. Er versuchte, nicht an den Abgrund zu denken, der unter ihm gähnte, atmete noch einmal tief durch und ließ sich langsam an dem Seil über die Steinkante in die Dunkelheit gleiten. Immer, wenn ihm eine Fuge Halt gab, verharrte er einen Augenblick, um die Armmuskeln zu entlasten. Dann kletterte er tiefer, bis er die nächste Spalte im Mauerwerk erreichte.
Auf diese Weise kam er gut voran, doch forderte das Hangeln an dem dünnen Seil viel mehr Kraft, als er gedacht hatte. Mit zusammengebissenen Zähnen sah er nach oben, wo sich die Spitze des Turmes schemenhaft vor dem Nachthimmel abzeichnete. Wie weit es wohl noch bis unten war? Zwei Drittel des Abstiegs hatte er sicher schon hinter sich gebracht. Das hieß aber auch, dass er immer noch hoch genug war, um sich das Genick zu brechen, wenn er sich nicht mehr halten konnte. Er versuchte, schneller zu klettern. Mehr als einmal glitt ihm das Seil durch die schmerzenden Fäuste und er rutschte unversehens ein Stück tiefer. Seine Handflächen brannten wie Feuer. Endlich, das Ende des Seils! Fast hätte er ins Leere gegriffen. Er spürte, dass er einen Krampf im rechten Arm bekommen würde, wenn er auch nur einen Augenblick länger festhielt. Mit be iden Beinen stieß er sich von der Mauer ab und ließ das Seil los. In dem kurzen Moment des Falls hoffte er inständig, dass es tatsächlich nur noch drei Meter bis unten waren, so wie er es mit dem Professor ausgerechnet hatte. Der Aufprall war hart. Ein stechender Schmerz zuckte durch seinen Knöchel. Er federte in den Kniegelenken und rollte sich seitlich über die Schulter ab. Schwer atmend blieb er auf dem Rücken liegen.
Hoffentlich habe ich mir nichts verstaucht, war sein erster Gedanke. Behutsam bewegte er den Fuß. Er fühlte sich an, als müssten sämtliche Knochen neu sortiert werden, schien aber in Ordnung zu sein.
Erst jetzt bemerkte Zacharias, dass auch seine Hände übel schmerzten. Die Innenflächen waren seltsam feucht, und er brauchte eine Sekunde, um zu verstehen, dass die glitschige Flüssigkeit Blut war. Egal, er hatte es geschafft. Als er sich die Hände an seinem Umhang abwischte, hörte er hoch über sich die gedämpfte Stimme des Professors: „Zacharias? Ist alles in Ordnung?“
„Ja, alles klar“, gab Zacharias ebenso leise
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