Die Zeitreisenden in Callahans Saloon
Callahans Lokal«, prostete sie ihm zu, leerte ihr Glas in einem Zug und hielt es hoch. Callahan zuckte mit keiner Wimper. Er verdrückte seinen eigenen Whisky in Rekordzeit und hielt das Glas ebenfalls in die Höhe. Die beiden Arme bewegten sich gleichzeitig.
Im Kamin splitterte Glas, und wir klatschten spontan Beifall. Longdrink McGonnigle begann zu singen »For She is a Jolly Good Fellow«, und wurde erbarmungslos niedergezischt.
Nun wandte sie sich uns zu. »Es gibt eine Menge Lokale, in denen sich eine Frau wohl fühlen kann. Das ist das erste, in dem ich mich zu Hause fühle. Danke.«
Haben Sie jemals erlebt, wie ein ganzer Saloon rot wird?
Der Schnelle Eddie kam zur Tür herein – wir hatten gar nicht bemerkt, daß er fortgegangen war – und überreichte ihr würdevoll fünf einzelne Dollars; er hatte die Banknote im rund um die Uhr offenen Delikatessenladen auf der gegenüberliegenden Straßenseite wechseln lassen. Aber Callahan lehnte die Dollarnote, die sie ihm hinhielt, ab. Sie zog eine Augenbraue hoch.
»Rachel«, erklärte er, »heute ist Punday-Abend in meinem Lokal, und der Sieger muß seine ... oder ihre Rechnung ... nicht bezahlen. Ich würde sagen, daß Sie reelle Chancen auf den Titel haben.« Sie lächelte vergnügt. Callahan erklärte ihr, worum es ging, und mixte ihr einen weiteren Drink.
Sie dachte kurz nach, dann begann sie:
»Ein Israeli beobachtet einen Araber, der am Toten Meer entlanggeht. Der Mann bleibt immer wieder stehen, taucht einen Zipfel seines Burnus‘ ins Wasser; mustert ihn genau und geht dann kopfschüttelnd weiter. Schließlich siegt beim Israeli die Neugierde, und er fragt den Araber, was er eigentlich tut. Dieser antwortet: ›Ihr Israeli seid doch wirklich unverschämte Lügner. Ich versuche schon seit einer Stunde, meinen Burnus zu färben – aber jedesmal, wenn ich ihn eintauche, ist er nachher genauso weiß wie vorher.‹ – Der Mann hatte geglaubt, daß er sich am Roten Meer befand.«
Beklommenes Schweigen trat ein. Callahan glitt die Zigarre aus den Zähnen und landete klatschend in seinem Glas. Geistesabwesend hob er das Glas zum Mund und trank. Als er es absetzte, hing die klatschnasse, tropfende Zigarre wieder zwischen seinen Zähnen.
Longdrink verzog das Gesicht. »Sie haben sich nicht an das Thema gehalten«, beschwerte er sich, und der Schnelle Eddie schaute ihn finster an. Ihr Gesicht blieb undurchdringlich. »Wieso«, meinte sie, »es handelt sich eindeutig um einen Fall von Farbenblindheit.«
Das Schweigen löste sich in Stöhnen, Gelächter und dem Klirren von zersplitterndem Glas auf.
Tom Flannery, Longdrink und der Doc gaben sich ungefähr gleichzeitig geschlagen, und das war Rachels erster Abend in Callahans Saloon. Sie kam am nächsten Abend wieder, dann am darauffolgenden Dienstag, und wurde bald zum Stammgast. Sie war anwesend, als Tommy Janssen vor dem Kamin getraut wurde, sie war dabei, als im Lokal ein Brand ausbrach, und auch an dem traurigen Abend, an dem der sanfte, freundlich lächelnde Tom Flannery für immer fernblieb. (Einen Tag, bevor Tom zufällig in Callahans Saloon geraten war, hatten ihm die Ärzte mitgeteilt, daß er noch neun Monate zu leben hatte). Sie gehörte zu uns. Obwohl sie nie auch nur im entferntesten »Einer von uns« war, gehörte sie zweifelsfrei zu uns. Es störte sie nicht, daß der Ton gelegentlich ein bißchen rauh wurde, und auch derbe Späße machten ihr nichts aus – als Doc Webster, der sie ein wenig um ihre ausgezeichneten Pointen beneidete, einmal versuchte, sie mit einem zweideutigen Witz in Verlegenheit zu bringen, antwortete sie mit einem so schlüpfrigen und komischen Gag, daß der Doc von der Glatze bis zu den Fußsohlen rot anlief und sich dabei schief lachte. Und sie ging unglaublich sanft mit dem Schnellen Eddie um, an dem man die klassischen Symptome eines blödsinnig Verliebten studieren konnte. Plötzlich konnte er nur noch sentimentale Schmachtfetzen spielen, und obwohl sie ihn immer lobte, überhörte sie jedesmal seine heimliche Werbung, ohne ihm jedoch die Selbstachtung zu nehmen.
Merkwürdigerweise war Eddie der einzige von uns, der sich in sie verliebte. Zwar waren wir alle dank der zweitklassigen – und gelegentlich auch erstklassigen – Hollywoodproduktionen in der Überzeugung aufgewachsen, daß eine Frau, die auf dramatische Weise in unser Leben tritt, die uns vom Schicksal bestimmte Geliebte sein muß. Doch merkwürdigerweise rief Rachel bei uns nie diesen Reflex hervor.
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