Die Zeitreisenden in Callahans Saloon
Sie wirkte nie kalt – man hatte immer den Eindruck von lebenssprühender Weiblichkeit –, aber sie signalisierte auch nie die Bereitschaft, die Annäherungsversuche herausfordert, und ebensowenig die gespielte Gleichgültigkeit, die im Endeffekt auf das gleiche hinausläuft. Wir erfuhren auch nie viel über sie, wo sie wohnte und so. Wir wußten nur, daß es amüsant war, mit ihr beisammenzusein; es gelang ihr, an einem Ort, an dem gute Laune alltäglich war, diese beträchtlich zu steigern.
Doch die Laune erreichte nur beinahe den absoluten Höhepunkt. Wegen ihrer Augen. Sie erinnerten mich in vieler Hinsicht an Mickey Finns Augen, als er zum ersten Mal aufgekreuzt war, und ich wußte, daß es nur eine Frage der Zeit war, bis der richtige Trinkspruch ihr Herz öffnete und der Schmerz hervorbrach. Verdammt, wir alle wußten es – aber sie mußte selbst den ersten Schritt tun. In Callahans Saloon steckt man seine Nase nicht in fremde Angelegenheiten.
Es dauerte beinahe vier Monate, bis sie endlich auspackte, ich glaube an einem Donnerstag. Sie war in letzter Zeit geistesabwesend gewesen, hatte sich zwar an der allgemeinen Neckerei beteiligt, sich jedoch gleichzeitig seltsam zurückhaltend gegeben, und ich hatte das, was dann kam, beinahe erwartet.
Doc Webster war gegen neun hereingehetzt, also später als an einem normalen Donnerstag, denn an diesem Abend hatte er keinen Dienst im Krankenhaus. Er gab eine Runde aus und erzählte.
Wenn man ihn darum bittet, leistet er Geburtshilfe in der Wohnung; aus Angst vor den Hebammen hängt er diese Tatsache allerdings nicht an die große Glocke. Der Doc steht auf dem Standpunkt, daß Schwangere nicht krank sind, und daß eine Frau das Recht hat zu entscheiden, wo sie entbinden will; er führt eine Sauerstoffflasche und andere nützliche Dinge im Wagen mit und hat noch nie eine werdende Mutter verloren.
»Es war eine Erstgeburt«, erzählte er befriedigt, »aber der Muttermund öffnete sich vorschriftsmäßig, die Lage des Kindes im Uterus stimmte, und sie hat sich großartig gehalten. Ein kräftiger, gesunder Junge, etwas über vier Kilo, und als ich mich verabschiedete, saugte er bereits wie eine Schiffspumpe. Mein Gott, bin ich durstig.«
Irgendwie stimmen einen Berichte über ein neues Leben fröhlich, und Docs Freude wirkte ansteckend. Als das letzte Glas gefüllt war, standen wir alle auf und wandten uns dem Kamin zu. »AUF DIE MUTTERSCHAFT!« brüllten wir gleichzeitig, und eine Zeitlang regnete es Gläser.
Als der Krach sich legte, kam aus der einzigen Toilette der Bar ein unverkennbares Geräusch.
Rachel weinte.
Die Situation war absurd. Mehr als zwei Dutzend aufgeregte, besorgte Männer, die gewöhnt waren, alles fallen zu lassen und jedem beizustehen, der Kummer hatte, drängten sich um die Tür zur Toi lette (auf der »Leute« stand) wie Obdachlose bei der Heilsarmee, und keiner von uns hatte den Mut, die Tür aufzubrechen, weil eine Dame drin war. Außerdem kam keiner auf die Idee, seine Hemmungen über den Haufen zu werfen, weil uns der Schnelle Eddie wie ein feuerspeiender Drache anfunkelte. Wir waren also verwirrt und tödlich verlegen, traten von einem Fuß auf den anderen und zermarterten uns das Hirn nach einer taktvollen Einleitung. Drinnen ging das Schluchzen gedämpft weiter.
Callahan hüstelte. »Rachel?«
Das Weinen verstummte. »J ... ja?«
»Brauchen Sie noch lange? Meine Backenzähne stehen schon unter Wasser.«
Pause.
»Ich beeile mich, Mike.«
»Lassen Sie sich nur Zeit.«
Das tat sie auch, aber schließlich ging die Tür doch auf, und sie kam heraus; keine Tränenspuren waren zu sehen, sie hatte sich offenbar wieder in der Gewalt. Callahan bedankte sich murmelnd, starrte uns wütend an und verschwand.
Wir rissen uns zusammen, wanderten ziellos im Lokal herum, vermieden es krampfhaft, Rachel anzusehen, und unterhielten uns angeregt. Callahan betätigte beinahe sofort die Wasserspülung, und als er herauskam, machte er das unschuldigste Gesicht, das er zustandebringt. Er rieb sich die fleischigen Hände und kehrte hinter die Theke zurück.
Rachel saß an der Theke und starrte auf den Platz an der Wand, an dem ein Spiegel hängen müßte, wenn Callahan etwas für Narzißmus übrig hätte. Die nackten Wände sind mit den Wortspielen, Sprichwörtern und Pointen bedeckt, die Callahan im Lauf der Jahre für würdig befunden hat, der Nachwelt überliefert zu werden. Der Satz, den sie eben betrachtete, wurde einem Kerl namens Robinson
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