Die Zeugin: Thriller (German Edition)
Sie gab etwas mehr Gas. Der Auspuff hustete, und die Kraft des V8-Motors brachte die Lenksäule zum Beben.
Vorsichtig ließ sie den Wagen aus dem Schuppen rollen. Eine Minute später donnerte sie auf der Schotterstraße dahin und zog einen Staubtornado hinter sich her.
51
In halsbrecherischem Tempo raste Rory mit dem El Camino über den Hügel. Hinter dem Grat hockte Ambers Haus trostlos im Sonnenschein, als könnte es jederzeit talwärts rut schen. Mit seinen nackten Erdflecken wirkte der Rasen regel recht räudig. Ein umgestürztes Dreirad lag herum. Die Straße und die Einfahrt waren leer. Keine Geländewagen, kein Abschlepplaster. Schlingernd brachte sie das Auto zum Stehen und spurtete zur Tür.
Ohne anzuklopfen, öffnete sie. »Tante Amber?«
Der Fernseher dröhnte.
Sie rannte an der Küche vorbei. »Amber.«
Am Ende des Gangs trat ihre Tante aus dem Schlafzimmer. »Rory?«
»Du musst weg. Sofort. Wie viele Kinder sind hier?«
Amber wirkte verunsichert. »Du bist ja klatschnass. Was ist los?«
»Wie viele Kinder?«
Amber strich sich eine ungebärdige Strähne hinters Ohr und neigte den Kopf. »Bloß Adalyn. Am Freitag kommt nur ein Junge, und er ist heute wegen einer Erkältung zu Hause geblieben.«
Rory fiel ein Stein vom Herzen.
»Was ist denn?« Amber sprach langsam, wie betäubt. »Vorhin hat ein Sheriff angerufen und wollte wissen, ob alles in Ordnung ist. Hat gesagt, ich soll drinbleiben und die Tür abschließen, sie schicken gleich einen Streifenwagen her.«
»Fein.« Bloß dass Amber nicht abgeschlossen hatte. Wie viel Oxycontin hatte sie intus? »Wo ist Addie?«
Amber deutete zum Wohnzimmer. »Warum fragst du nach Addie?«
»Weil ich Bescheid weiß, Amber.« Sie wartete, bis die Worte angekommen waren.
Ambers Blick wurde scharf.
Rory eilte hinüber ins Wohnzimmer.
Neben dem plappernden Fernseher hockte Addie über einem Haufen Spielzeugfiguren. Die braunen Locken umrahmten ihr Gesicht. Rory kniete sich nieder und legte ihr sanft die Hand auf den Rücken. »Hi, wir machen eine kleine Fahrt. Du und ich und deine Grandma.«
Neugierig und bereitwillig blickte Addie zu ihr hoch. Sie stand auf und ließ sich von Rory auf den Arm nehmen.
Mit tränenden Augen schlurfte Amber herein und fummelte nervös an ihrem Halsband herum. »Wenn der Sheriff sowieso schon einen Streifenwagen schickt, wieso müssen wir dann abhauen?«
»Weil der Sheriff nicht der Einzige ist, der im Anrollen ist.«
Amber erbleichte. »Wer denn noch?«
»Mirkovic und seine Leute.« Um nur die zu nennen.
Hinten im Garten beugten sich die Bäume im Wind. Auf der Wäscheleine flatterten Hemden.
Amber presste die Hand auf die Brust. »Allmächtiger.«
Rory umkurvte sie. »Wo ist Addies Kindersitz?«
»Grandma Auto?«, fragte Addie.
»Nein, Schatz, wir fahren mit meinem Auto.«
Amber sah die Kleine an. »Sie gehört zu mir. Ich hab sie adoptiert.«
»Riss ist das egal. Los.«
»Riss hat mir das Sorgerecht übertragen. Sie gehört zu mir.« Amber berührte Rory am Arm, um sie aufzuhalten. Ihre Hand war kalt und zitterte. »Mirkovic will sie?«
»Hat dir Riss erzählt, dass er der Vater ist?«
»Eine einmalige Sache. Völlig ungeplant. Der Club, in dem Riss arbeitet, Butterfly Bombshell … Er gehört Mirkovic.« Ambers Blick glitt zu Addie. »Riss …«
»Sie hat Mirkovic gesagt, dass er der Vater ist?«
Nickend schaute Amber auf den Boden. »Er kommt, weil …«
»Er hat deinen Sohn am Telefon gehört und ist jetzt überzeugt, dass er nicht der Vater ist.«
Amber erschauerte, und ihre Lippen zuckten. Offenbar hatte sie an Mirkovics Vaterschaft geglaubt. Oder an sie glauben wollen, um einen anderen Verdacht zu verdrängen. Jedenfalls war sie nicht scharf darauf, die Wahrheit zu hören.
»Wir müssen los.« Mit Addie fest im Arm lief Rory in die Küche.
»Du darfst uns nicht verurteilen.«
Rory spürte ein Kribbeln auf der Haut, als sie nach dem Telefon griff. »Der Sheriff hat hier angerufen? War das das letzte Telefongespräch?«
»Warum willst du das wissen?« Beim Anblick von Rorys Gesicht wich Amber einen Schritt zurück. »Ja.«
Rory drückte auf Rückruf.
»Wenn Mirkovic denkt, dass ihn Riss wegen der Kleinen angelogen hat …« Ambers Ton sagte den Rest: Dann war er garantiert darauf aus, es ihr heimzuzahlen. Rory drückte Addie an die Hüfte.
Am Telefon meldete sich eine Frauenstimme. »Sheriff’s Department.«
»Am Eingang des unterirdischen Flusskanals ist ein Mann angeschossen
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