Die Zeugin: Thriller (German Edition)
mit Ausnahme des schwarzen Suburban war sie leer. Ihre Nervenenden blitzten, und das Adrenalin funkte einen hektischen Morsecode durch ihre Adern. Chiba rannte zu ihr. Wieder machte sie einen Schritt zurück.
Grigor Mirkovic kannte ihren Namen und wusste, wo sie wohnte.
Der Klotz im schwarzen Anzug stand vor der offenen Tür des Wagens. »Mr. Mirkovic möchte Antworten von Ihnen hören. Bleiben Sie sofort stehen.«
Rory drehte sich um und rannte. Sprintete los, von null auf Vollgas in einer halben Sekunde.
»Nicht schlau, Lady«, rief der Mann.
Auf der anderen Straßenseite stand ein Haus mit offenen Vorhängen. Im Wohnzimmer flackerte ein Fernseher. Sie lief direkt zur Tür und schlug mit der flachen Hand dagegen. »Hilfe! Ich bin Ihre Nachbarin, Rory Mackenzie. Bitte.«
Nichts regte sich. Aus dem verdammten Fernseher plärrte das ewig gleiche Thema: Belagerungszustand im Gericht – Albtraum in Ransom River.
Hastig warf sie einen Blick über die Schulter. Der Mann marschierte auf sie zu. Trotz seines bulligen Körperbaus bewegte er sich mit flüssiger Geschmeidigkeit. Seine sonnengebräunte Haut glänzte, seine Züge waren so ausdruckslos, dass sie fast verkümmert wirkten. Wie ein eins fünfundachtzig großer Regenwurm in Armani-Kluft.
Das nächste Haus war hundert Meter entfernt. Rory jagte darauf zu und fummelte in der Tasche nach ihrem Telefon. Chiba hüpfte ausgelassen neben ihr her. Der Fahrer des Suburban legte den Gang ein.
Grigor Mirkovic wusste genau, dass ihm jeder Kontakt zu einer Geschworenen im Prozess um den Mord an seinem Sohn verboten war. Er hätte weder ihren Namen noch ihre Adresse kennen dürfen.
Vorn ragte als Windschutz eine Reihe hoher Kiefern auf. Dahinter machte die Straße eine Kurve, um die genau in diesem Augenblick ein Auto bog.
Rory ruderte wie wild mit den Armen. »Stopp. Helfen Sie …«
Überrascht riss der Fahrer den Mund auf. Er wich ihr aus und jagte davon.
Der Suburban folgte ihr auf der falschen Straßenseite und schloss zu ihr auf. Der Regenwurm stand auf der Beifahrerseite im Wagen und stützte sich auf die offene Tür. Über das Dach hinweg starrte er sie mit leerem Blick an. »Wenn Mr. Mirkovic eine Frage stellt, läuft man nicht weg. Man hört zu und antwortet.«
Warum konnte ihr Mirkovic nicht einfach eine E-Mail schicken?
Grigor Mirkovic war Eigentümer von Nachtclubs und einer Baufirma in Los Angeles. Spezialist für Cocktails, Nagelpistolen und Beton. Und Gerüchten zufolge auch Spezialist für illegale Arbeitskräfte, die er über die Grenze schmuggelte. Mirkovic war selbst aus Serbien nach Kalifornien eingewandert und brachte all die zupackenden Eigenschaften mit, die aus armen Jungen reiche Männer machten. Vor allem wenn die armen Jungen bereit waren, schwer bewaffnet und skrupellos gegen das Gesetz zu verstoßen.
Es war klar, dass seine Handlanger in dem Geländewagen nicht unterwegs waren, um Sperrholz und Dachschindeln zu verkaufen.
Jetzt schob sich der Suburban neben sie. Vorne, ungefähr siebzig Meter weiter, parkte ein Civic in einer Einfahrt. Rory kannte die Frau, die dort wohnte. Andi Garcia. Sie steuerte auf das Haus zu und versuchte gleichzeitig, ihr Telefon einzuschalten und 9-1-1 zu wählen.
Der Regenwurm beobachtete sie mit stumpfem Gesicht. »Mr. Mirkovic möchte Ihnen eine Frage stellen. Wussten Sie schon vorher, dass die Bewaffneten aufkreuzen?«
Sie wurde nicht langsamer. Wie ein Stachel ragte ihr fliehender Schatten vor ihr auf.
»Wer hat mit Ihnen geredet? Jared Smith? Lucy Elmendorf? Die Polizeigewerkschaft?«
Atemlos erwiderte sie: »Das sind schon fünf Fragen, du Arsch.«
Das Fahrerfenster summte nach unten. Am Steuer saß ein Muskelberg mit Pilotensonnenbrille. »Du kannst hier noch so eine große Klappe riskieren, aber diese Karre folgt dir bis nach Las Vegas, wenn es sein muss.«
Vorn kam ein brauner Chrysler um die Kurve und hatte plötzlich auf seiner Spur den Suburban vor sich. Er bremste heftig.
Der Suburban lenkte auf die andere Straßenseite, und der Regenwurm duckte sich nach drinnen. Dann stieg der Fahrer aufs Gas und raste davon.
Schwer atmend wandte sich Rory dem Chrysler zu. Gott sei Dank.
Detective Xavier stieg aus.
X avier beobachtete, wie der Suburban röhrend um die Kurve verschwand. Sie hatte ihr Funkgerät in der Hand. »Wer war das?«
Rory konnte es nicht fassen. Ihr Worst-Case-Spiel wurde allmählich zu einem Witz. Sie stemmte die Hände auf die Knie und rang nach Luft. »Die Typen haben
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