Die Zeugin: Thriller (German Edition)
Sorgen?«
»Weil das alles zusammenhängt.«
Ruckartig wandte er den Kopf nach hinten.
»Sie sind nicht Bruder und Schwester. Sie sind nicht miteinander verwandt, obwohl wir sie so behandeln. Sie sind unter dem selben Dach aufgewachsen, doch sie stammen aus ganz unterschiedlichen Familien. Riss nennt Amber nicht mal mehr Mom.«
Fast unmerklich entspannte sich ihr Dad.
»Riss hat sich mit Boone zusammengetan. Und diese Verbindung ist viel stärker als zwischen Freunden, Cousins oder Geschwistern.« Als ihre Eltern sie nicht ansahen, fügte Rory hinzu. »Das merkt man auch. Sie stehen zusammen gegen die Welt. Schon immer.«
Langsam, voller Trauer nickte Will.
»Da können wir nichts machen.« Sam fuhr sich mit der Hand über die Augen. »Und wir sollten uns auch nicht einmischen.«
»Sam …« Will verstummte.
»Es ist nicht illegal, nur krank. Sie sind krank. Und das meine ich nicht sexuell. Das sind schwierige, gestörte Menschen. Das weißt du ganz genau, Will. Du hast es schon immer gewusst.«
»Das hat schon vor langer Zeit angefangen.« Rory merkte, dass sie vor Anspannung fast zitterte. Doch plötzlich erkannte sie, als würde sie aus tiefem Wasser an die Oberfläche schießen und endlich wieder Luft bekommen: Ich muss keine Angst haben. Sie hatte nichts Falsches getan. Wie oft hatte sie Flüchtlinge gedrängt, bei einer Asylanhörung den Mund aufzumachen, weil es sie nur stärken konnte, die Wahrheit zu sagen.
Ich muss an meine eigene Wahrheit glauben.
»Als ich zwölf war, hat Boone versucht, mich auszuziehen und mich zu betatschen.«
Sam erstarrte. »Was?«
»Bei unserem Grillfest am Memorial Day.«
Sams Mund stand klaffend offen. Auch Will drehte sich endlich zu Rory um. Sein Gesicht war eine Maske des Zorns.
Rory zwang sich, den Vorfall verständlich und äußerlich ruhig zu erzählen. Sie ließ nichts aus. Auch nicht, dass sie und Seth über den Zaun am unterirdischen Kanal geklettert waren.
Sam verdrehte nicht die Augen, und auch Will tadelte sie nicht.
Hatte sie denn wegen dieser kleinen Dummheit in der siebten Klasse von ihren Eltern wirklich eine enttäuschte Reaktion erwartet? Ja. Die perfekte Tochter hatte es nie für möglich gehalten, dass sie weniger als hundert Prozent Sonnenschein an den Tag legen und auch Kratzer und Wunden zugeben durfte.
»Das Schlimmste kommt noch«, sagte sie.
Stumm ließ sich Will auf das alte Sofa sacken.
»Boone war damals nicht allein in meinem Zimmer. Riss hatte sich im Wandschrank versteckt und schaute zu.«
»O mein Gott«, ächzte Sam.
»Sie blieb mucksmäuschenstill, bis ich sie bemerkt habe.«
»Aber Boone hat dich nicht …«
»Nein. Er kam nicht dazu.« Bei der Erinnerung wurde ihr ganz flau. Die Nähe seines Gesichts, sein Schweißgeruch. »Zum Glück hat eine Kollegin von dir an die Tür geklopft. Da war es vorbei.«
Erleichterung zog über Wills Gesicht.
»Bloß Riss war noch nicht fertig mit mir.« Rory erzählte von Riss’ Drohungen gegen Pepper. Der kleine Hund war jahrelang der vierte Mackenzie gewesen – ein unverwüstliches, eigenwilliges Mitglied der Familie.
Will wurde kreidebleich.
Auch ihre Mutter wirkte tief erschüttert. »Sie sind gefährlich.«
»Riss hat mir heute wieder gedroht. Und Boone ist mir im Auto gefolgt.«
»Verdammt.«
»Wozu denn?« Sam machte eine ratlose Geste.
Rory zögerte. Eigentlich war es nur eine unklare, fast schemenhafte Ahnung. Trotzdem wuchs in ihr der Verdacht, dass ihre Cousins von der möglichen Beteiligung Lees an dem Überfall auf den Geldtransporter wussten. Immerhin waren sie mit der Legende von den verschwundenen Millionen aufgewachsen.
»Was gestern im Gericht passiert ist … ich glaube, da haben die zwei ihre Finger mit drin.«
Statt in wüste Beschimpfungen auszubrechen, reagierten ihre Eltern mit Schweigen.
»Ich hatte von Anfang an den Eindruck, dass die Bewaffneten ein anderes Motiv hatten. Sie haben mit Leuten von draußen zusammengearbeitet.«
»Boone und Riss? Das ist doch …«
»Lächerlich«, schloss Will für seine Frau.
»Ich glaube nicht.« Rory wartete kurz, bis sich ihre Eltern wieder beruhigt hatten. »Es geht um Onkel Lee. Und um den Überfall auf den Geldtransporter.«
Plötzlich schien die Luft im Schuppen vor Elektrizität zu knistern.
»Deswegen bin ich heute mit Seth zu seinem Dad gefahren. Um mehr über diese ganze Sache rauszufinden.«
Will wirkte völlig benommen, Sam schien einer Ohnmacht nahe. Unsicher setzte sie sich neben ihren Mann
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