Die Zeugin
Mordwaffe. Sie lag auf dem Boden neben dem Bett, wo Charlie der Schädel weggepustet wurde. Wir haben ihre Fingerabdrücke darauf gefunden, und in der Handfläche hatte sie Pulverspuren. Eindeutiger kann ein Beweis wohl kaum sein.«
»Ach nein?« fragte Kendall spitz.
Der andere Beamte mischte sich wieder ein. »Als wir eintrafen, saà Lottie am Küchentisch, als wäre gar nichts geschehen, und trank Whisky â pur.«
»Ich könnte mir vorstellen, daà Mrs. Lynam unter Schock stand und einen Drink gebraucht hatte. SchlieÃlich war sie kurz zuvor vergewaltigt worden.«
»Vergewaltigt! Charlie war ihr Mann. Sie waren schon jahrelang verheiratet«, widersprach der Assistent. »Hier handelt es sich eindeutig um Mord. Es gibt keinen Zweifel daran, was passiert ist.«
»Tatsächlich?« Kendalls Einwurf verleitete ihn dazu, seiner Phantasie freien Lauf zu lassen.
»Charlie kam betrunken nach Hause. Das hat Lottie nicht gepaÃt. Wahrscheinlich hat sie ihn deshalb angemeckert, und er hat ihr ein paar gescheuert. Ich will damit nicht sagen, daà das richtig war«, schränkte er schnell ein. »Jedenfalls war Lottie stinksauer, deshalb hat sie gewartet, bis er eingeschlafen war, hat dann auf ihn geschossen und ihn umgebracht.«
»Haben Sie Zeugen vernommen?« fragte Kendall.
»Zeugen?«
»Irgendwen, der dabei war und gesehen hat, was vorgefallen ist«, erläuterte sie mit Unschuldsmiene. »Können die Nachbarn bestätigen, daà es zu einem Streit kam? Kann irgend jemand die
Anklage erhärten, daà Mrs. Lyman wütend auf ihren Mann war und ihn mit einer Pistole erschossen hat, die sie, nebenbei bemerkt, schon früher hätte einsetzen können?«
Die beiden Beamten sahen sich an. »Es gibt keine Nachbarn«, gestand einer widerstrebend. »Sie wohnen ziemlich weit drauÃen.«
»Aha. Es hat also niemand etwas von einem Streit mitbekommen. Niemand hat den Mord beobachtet.«
Der Beamte lieà seinen Zahnstocher zu Boden fallen und löste sich von der Wand. »Aber es hat auch niemand eine Vergewaltigung beobachten können.«
Kendall dankte ihnen und bat darum, allein mit ihrer Mandantin sprechen zu dürfen. Als die Polizisten hinausgegangen waren, sprach Lottie zum ersten Mal. »Es war ziemlich genau so, wie sie gesagt haben.«
Das hatte Kendall schon befürchtet, aber sie lieà sich ihre Enttäuschung nicht anmerken. »Da es jetzt schon so viele Beweise gibt, wird man Sie ziemlich sicher wegen Mordes anklagen. Vergessen wir mal den Tanz, den ich eben für die beiden aufführte. Wir wissen beide, daà Sie die Waffe abgefeuert haben, mit der Ihr Mann erschossen wurde. Sie sind nicht unschuldig â daran ist nicht zu rütteln. Schuld ist allerdings ein dehnbarer Begriff. Deshalb werde ich versuchen, all jene Aspekte Ihrer Ehe mit Charles zu erhellen und hervorzuheben, die man als schuldmildernd ansehen könnte.
Bevor ich Sie vor Gericht vertrete, muà ich soviel wie möglich über Sie und Ihre Ehe erfahren, auch wenn ich wahrscheinlich nicht alles davon verwenden kann. Ich bin nicht erpicht auf Ãberraschungen im Gerichtssaal. Deshalb möchte ich mich schon im voraus dafür entschuldigen, daà ich nach Dingen fragen werde, die eigentlich vertraulich bleiben sollten. Das ist meine unangenehme, aber unerläÃliche Pflicht als Anwältin.«
In Lottie machte sich eindeutig Unbehagen breit, aber sie deutete Kendall mit einem Nicken an fortzufahren.
Die Pflichtverteidigerin protokollierte Lottie Lynams Lebenslauf. Sie erfuhr, daà Lottie in Prosper als jüngstes von fünf Kindern auf die Welt gekommen war. Ihre Eltern waren beide tot; die Geschwister lebten längst woanders. Sie hatte die High-School abgeschlossen und ein Jahr lang das Junior College besucht, bevor sie eine Stelle als Sekretärin in einem Versicherungsbüro antrat.
Charlie Lynam war ein Reisevertreter für Bürobedarf. »Er rief im Geschäft an«, erzählte sie Kendall. »Er begann mit mir zu flirten, und wollte mich ausführen. Erst weigerte ich mich, aber schlieÃlich gab ich nach. Von da an sahen wir uns jedesmal, wenn er in die Stadt kam. Danach führte eines zum anderen.«
Sie waren sieben Jahre verheiratet und hatten keine Kinder. »Ich kann keine Kinder bekommen. Als Teenager hatte ich eine Infektion, und seitdem bin ich steril.«
Lottie
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