Die Zeugin
Lynam hatte kein sehr erfülltes Leben geführt. Je länger sie erzählte, desto mehr Mitleid bekam Kendall mit ihr; sie ermahnte sich, berufliche Distanz zu wahren. Diese Frau hatte sich nur durch eine Verzweiflungstat von ihrem Mann befreien können, der sie laufend miÃhandelte; deshalb wollte Kendall ihr unbedingt helfen.
Sie schlug einen Ordner auf. »Ich habe ein paar Nachforschungen angestellt, während Sie geduscht und gefrühstückt haben. In den vergangenen drei Jahren haben Sie siebenmal die Polizei gerufen.« Sie sah auf. »Richtig?«
»Wenn Sie es sagen. Ich habâ nicht mehr mitgezählt.«
»Zweimal wurden Sie bei diesen Anlässen ins Krankenhaus eingeliefert. Einmal mit mehreren Rippenbrüchen. Das andere Mal mit einer Verbrennung auf dem Rücken. Was für eine Verbrennung, Mrs. Lynam?«
»Er hat mich mit meinem Lockenstab gebrandmarkt«, antwortete sie erstaunlich gefaÃt. »Und ich habe noch Glück gehabt. Eigentlich wollte er â in mich rein. Er sagte, er wollte mich ein für allemal besitzen.«
Wieder muÃte sich Kendall angestrengt auf die Fakten konzentrieren, um sich ihre Gefühle nicht anmerken zu lassen. »War er eifersüchtig?«
»Wahnsinnig â auf alles, was eine Hose trug. Ich konnte nirgendwohin, konnte nichts unternehmen, ohne daà er mir vorgehalten hätte, ich wollte anderen Männern den Kopf verdrehen. Er wollte, daà ich hübsch aussehe, aber wenn ich mich mal zurechtgemacht hatte, fing er an zu toben, sobald ein anderer Mann nur den Kopf hob. Dann hat er sich besoffen und mich verprügelt.«
»Hat er Ihnen jemals mit dem Tod gedroht?«
»Dauernd.«
»Ich möchte, daà Sie sich einige dieser Vorfälle ins Gedächtnis rufen, vor allem solche, bei denen jemand seine Drohungen gehört haben könnte. Haben Sie mit irgendeiner Person über die MiÃhandlungen gesprochen? Einem Geistlichen? Einem Eheberater vielleicht?« Lottie schüttelte den Kopf. »Es wäre hilfreich, wenn ein anderer bestätigen könnte, daà Sie tatsächlich Angst hatten, er könnte Sie in einem Tobsuchtsanfall umbringen. Haben Sie denn mit niemandem darüber gesprochen?«
Sie zögerte. »Nein.«
»Okay. Was geschah gestern nacht, Mrs. Lynam?«
»Charlie war ein paar Tage unterwegs gewesen. Er kehrte müde und gereizt heim und fing an zu trinken â war dann ziemlich schnell blau.
Er machte einen mordsmäÃigen Aufstand und veranstaltete eine furchtbare Sauerei mit dem Essen, das ich ihm gekocht hatte. Schmià es an die Wand. Warf mit Geschirr.«
»Hat das die Polizei gesehen?«
»Nein. Ich habâs aufgeräumt.«
Das war ausgesprochen falsch. Spuren eines Wutanfalls wären hilfreich gewesen â vorausgesetzt, sie hätte beweisen können, daà es Charlies Wutanfall gewesen war.
»Erzählen Sie weiter«, drängte Kendall.
»Er stürmte aus dem Haus und blieb stundenlang verschwunden. Gegen Mitternacht kam er wieder, noch besoffener und gereizter als vorher. Ich weigerte mich, mit ihm zu schlafen, also hat er mich verprügelt.« Sie wies auf ihr malträtiertes Gesicht. »Ich dachte, es wäre auf jeden Fall eine Vergewaltigung, wenn die Frau nein sagt.«
»Das ist es auch. Sie haben gestern abend keinen Zweifel daran gelassen, daà Sie keinen Sex haben wollten, richtig?«
Sie nickte. »Er hat mich trotzdem gezwungen, warf mich aufs Bett und drückte mir den Unterarm auf den Hals. AnschlieÃend rià er mir das Höschen runter und drang in mich ein. Es war scheuÃlich, absichtlich hat er mir weh getan.«
»Im Krankenhaus hat man Ihre Fingernägel gereinigt. Wird man darunter Hautfetzen oder irgendwelche anderen Hinweise darauf finden, daà Sie sich gewehrt haben?«
»Bestimmt. Ich habe mich mit aller Kraft gewehrt. Als er fertig war, blieb er auf mir hocken. Er beschimpfte mich, und drohte mir, daà er mich umbringen würde.«
»Was genau hat er gesagt?«
»Er hat seine Pistole aus der Nachttischschublade geholt, mir den Lauf zwischen die Zähne gerammt und gesagt, daà er mir den verdammten Kopf wegpusten würde. Vielleicht hätte er mich wirklich umgebracht, aber er ist im Nu eingeschlafen.
Ich bin lange still liegengeblieben vor lauter Müdigkeit, alles hat mir weh getan, und ich hatte einfach Angst, mich zu bewegen. Ich
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