Die Zusammenkunft
ersten Augenblick an besteht kein Zweifel, daß dies das Ziel der Archonten ist!
Meine nutzlosen Gedärme scheinen sich unter der Erkenntnis zu verdrehen. Schmerzen, wie ich sie nicht einmal litt, als die Sonne einst meine Haut verbrannte, bohren sich durch mein Fleisch.
»Bleibt stehen! Geht nicht weiter!«
Meine Stimme ist so heiser, daß ich sie selbst nicht erkennen würde. Und niemand hört auf mich. Sie überqueren den Platz und steigen ramponierte Stufen hinauf.
Zum Tempel.
Daß es ein Tempel ist, daran gibt es keinen Zweifel.
Auch er hat gelitten wie die Stadt, über der er thront. Und doch ist noch etwas darin, das Macht hat. Macht über solche wie uns.
Warum nicht über mich?
Warum tappe ich nicht ebenso stier und blicklos ins Verderben wie die elf, die jetzt das Ende der Stufen erreichen und sich ins Innere des Baues begeben?
In die Falle ...
»Bleibt stehen! So bleibt doch stehen!«
Ich bleibe stehen. Noch vor der ersten Stufe halte ich inne und denke: Nein! Ihr Schicksal will ich nicht teilen! Ich will nicht enden wie sie!
Dabei weiß ich nichts über ihr Schicksal. Nichts über das, was in diesem einst prunkvollen Tempel lauert. Oder einfach nur wartet .
Ich will es gar nicht wissen. Ich wende mich ab und renne den ganzen Weg zurück, den ich gekommen bin. Renne um mein Leben, dieses Leben, das dem Herrn der Finsternis geweiht ist, dem Sohn der Hölle - niemandem sonst!
Irgendwann finde ich die Stelle wieder, an der ich aus dem Korridor getreten bin. Den Fels, der nur massiv aussieht, es aber nicht ist. Wie von Sinnen und ohne mir Gedanken über die Folgen zu machen, stürze ich mich hinein, taumele durch die Ewigkeit, die dahinter wartet, und schaue nicht nach rechts und nicht nach links.
»Wie ich dem Korridor entkam, weiß ich nicht mehr. Irgendwann spie er mich aus. Genau dort, wo ich ihn betreten hatte - aber das wurde mir erst später klar.
Ich war ins Jahr 1705 zurückkehrt - das Jahr, aus dem wir aufgebrochen waren, um unser aller Vater zu erretten.
Vergebens .«
*
Gegenwart
Jadas Augen sahen aus wie Perlen, die von innen beschlagen waren, dadurch aber noch mehr an Reiz gewannen. Landru ließ eine Weile verstreichen, aber irgendwann konnte er den Stoßseufzer nicht länger unterdrücken: »Beim dunklen Dom und meinen toten Geschwistern! Ich glaube, ich verstehe .«
Der Nebel in ihren Augen geriet in Bewegung.
»Du verstehst?« fragte Jada. »Was willst du damit sagen?«
Landru ballte die Fäuste so fest, daß es in den Gelenken seiner Finger knackte. »Das geht nur ihn und mich an«, sagte er abweisend. »Wie ging es damals weiter?«
»Als ich mich von dem Schock des Verlustes erholt hatte, bereiste ich viele Jahre planlos die Welt. Ich suchte nach Anzeichen, daß Er vielleicht doch wiedergeboren worden sei. Aber ich fand nur die aufgehende Saat, die er hinterlassen hatte. Ein Jahrhundert griff ins nächste. In unterschiedlichen Abständen kehrte ich immer wieder hierher zurück, als wäre dies ein Stück Heimat, an dem ich zur Besinnung finden konnte. Als die weltumspannenden Kriege ausbrachen, suchte ich die Anstifter auf, weil ich in ihnen eine neue Inkarnation des Satans zu erkennen hoffte. Aber auch sie waren nur aufgehende Saat, Früchte, denen Er lediglich den Boden bereitet hatte, ehe er selbst davon getilgt worden war .«
»Die Weltkriege«, murmelte Landru. »Die Sippen hatten nichts damit zu tun. Hitler, Stalin ... Jetzt schwant mir, warum dies Unantastbare waren - auch für uns. Sie widerstanden jeder Beeinflussung, gingen ihren Weg, der Millionen Leben kostete ... Seine Saat? Was heißt das? Wie hat er sie verstreut, wann und wo wird sie noch aufgehen?«
Jada reagierte nicht.
»Antworte!«
Sie schüttelte den Kopf. »Darüber weiß ich nichts.«
»Vielleicht ist das die Wahrheit«, sagte Landru zornig. »Warte hier auf mich!« »Warten? Wohin willst du? Seit Jahrhunderten ersehne ich diesen Tag . Nein, ich lasse dich nicht gehen! Bring mich erst zu dem, der dich geschickt - und der sich meiner erinnert hat! Ich bin nicht nutzlos! Auch ganz allein, als letzte von zwölf, bin und bleibe ich sein Kind ...!«
»Du kannst mich nicht aufhalten!« Landru verdrängte die Erinnerung an das, was schon einmal auf ihn übergesprungen war wie ein Funke von lähmender Kraft. »Und selbst wenn du dazu in der Lage wärst - Er würde es dir kaum verzeihen, denn Er hat mich geschickt .«
Sie kniff die Lippen zusammen. »Ich kann nicht noch eine Ewigkeit
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