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Die zwei Monde: Roman (German Edition)

Die zwei Monde: Roman (German Edition)

Titel: Die zwei Monde: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Tarenzi
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denken, geschweige denn, sich die Szene auszumalen), hatte er mich einfach so gehen lassen. Mutterseelenallein, mitten in der Nacht, und das, wo ich mich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Ich hatte ihm eine peinliche Szene gemacht, und er hatte mich gehen lassen. Sie alle hatten mich gehen lassen: Keiner war mir nachgekommen, um zu sehen, ob ich in Ordnung war oder um auf mich aufzupassen. Auf dem Weg vom Lokal zu meiner Wohnung hätte mir sprichwörtlich alles über den Weg laufen können, ein Räuber, ein Vergewaltiger oder ein …
    Werwolf .
    Ich spürte einen stechenden Schmerz, aber ich weigerte mich, ihm Raum zu geben. Kontrolle, hatte der Conte gesagt. Und auch Ivan hatte davon gesprochen. Durch Kontrolle ließ sich die Bestie in die Knie zwingen: Und sie würde auch Alex in die Knie zwingen. O ja, das würde sie.
    Ich betrat das Klassenzimmer, ohne auch nur in seine Richtung zu schauen. Stattdessen ging ich schnurstracks zu meinem Platz, setzte mich neben Irene, lächelte sie strahlend an und küsste sie auf die Wange.
    »Hallo.«
    Sie sah mich verblüfft an und erwiderte dann mein Lächeln. »Da ist aber heute jemand gut gelaunt.«
    Ich nickte.
    Sie senkte die Stimme: »Dann hast du also mit Alex gesprochen?«
    Ich zögerte, nur einen Augenblick lang, aber ihr Lächeln verblasste sofort. Verdammt, war ich wirklich ein so offenes Buch? Ich musste lernen, mich besser zu beherrschen!
    Ich erzählte ihr von unserem gestrigen Gespräch, und der strahlende Blick meiner Freundin verdüsterte sich von Sekunde zu Sekunde. Es war, als würde man auf das Meer schauen, über das in dem langen Augenblick vor dem Sturm der Wind hinwegfegte; ein Schauspiel, das ich in Ravenna im Sommer mehr als einmal erlebt hatte.
    »Das glaube ich einfach nicht«, stieß sie am Schluss hervor. » Das kann ich einfach nicht glauben . Das ist doch der reinste Wahnsinn! Wie kann man denn so was machen? Dir hätte sonst was passieren können, wirklich sonst was! Ein Lokal mit lauter unbekannten Leuten, nachts auf den Straßen …« Sie schüttelte heftig den Kopf, eine Geste, die ich bei ihr noch nie gesehen hatte. Verstört und wütend. Meinetwegen.
    Ich warf meine Arme um sie, drückte sie an mich und vergrub mein Gesicht in ihren Haaren, die nach Veilchen und Desinfektionsmittel rochen. Als auch sie mich umarmte, war nicht mehr ganz klar, wer hier eigentlich wen tröstete. Aber ich wusste jetzt, dass ich sie wirklich gern hatte. Sehr gern.
    Als wir uns wieder voneinander lösten, war mir egal, ob die anderen unseren Gefühlsausbruch mitbekommen hatten.
    »Was könnte in dem Wodka gewesen sein, was glaubst du?«, fragte ich dann leise. Ich konnte mir ungefähr vorstellen, was da gelaufen war; schließlich hörte man immer mal wieder solche Geschichten oder sah sie im Film. »K.-o.-Tropfen vielleicht?«
    Irene runzelte die Stirn, dann schüttelte sie den Kopf. »Nein, das glaube ich nicht. Oder jedenfalls nicht das übliche Zeug: Rohypnol, GHB oder so. Solche Substanzen hätten dich außer Gefecht gesetzt: Du hättest dich dann vielleicht aufs Ohr gehauen, aber sicher nicht angefangen, zu tanzen.«
    »Aber soweit ich weiß, kann man sich an nichts mehr erinnern, wenn einem was von dem Zeug eingeflößt wird.«
    »Es gibt viele Drogen, die das Kurzzeitgedächtnis beeinflussen, nicht nur die K.-o.-Tropfen. Dir hat man was eingeflößt, das aufputschend wirkt und zu Kontrollverlust führt.« Sie sah mich mit ernstem Gesicht an. »Du müsstest das eigentlich der Polizei melden, weißt du das?«
    Natürlich wusste ich das. Ich hatte selbst schon daran gedacht. »Aber wen soll ich denn anzeigen? Und mit welchen Beweisen?«
    Irene stieß einen langen Seufzer aus. »Stimmt …« Dann lächelte sie mir zu und nahm meine Hand. »Aber zum Glück ist dir nichts passiert, und das ist das einzig Wichtige.«
    Ich erwiderte ihr Lächeln, in der Hoffnung, dass es ehrlich wirkte.
    Der Vormittag verging ruhig, und am Ende war es mir gelungen, Alex und die drei Hexen kein einziges Mal in mein Blickfeld rücken zu lassen. Ein Sieg, der schwieriger zu erringen war, als gedacht, und weniger Befriedigung mit sich brachte, als erhofft. Ich versuchte an andere Dinge zu denken, denn es tat immer noch weh.
    Beim Mittagessen verkündete mir meine Mutter, dass sie gleich los müsse, zu einer Konferenz irgendeines indischen Meisters, und dass sie erst gegen fünf wieder zurück sein würde.
    Perfekt. Dann konnte ich ja die Gelegenheit nutzen, um zum Conte zu gehen

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