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Die zwei Monde: Roman (German Edition)

Die zwei Monde: Roman (German Edition)

Titel: Die zwei Monde: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Tarenzi
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hatte er den Körper eines Tieres besetzt. Eines Hundes, aller Wahrscheinlichkeit nach: etwas, das seiner ursprünglichen Natur möglichst ähnlich war.«
    »Aber wer hat ihn verfolgt?« Meine Verwirrung wuchs zusehends, und die Antworten des Conte wurden immer surrealer. »Werwolfsjäger auf den Straßen Mailands? Ist es das, was Sie sagen wollen?«
    »Vielleicht.« Er machte eine vage Handbewegung. »Du und ich, wir sind sicher nicht die Einzigen in dieser Stadt, die von seiner Anwesenheit wissen.«
    Plötzlich fielen mir die Worte des Bettlers wieder ein: Ich wusste, dass du zurückgekehrt bist. Alle wissen es. Sie werden kommen und nach dir suchen.
    »Ein Mann, den ich getroffen habe … Er hat mir gesagt, dass ›alle‹ wissen, was vor sich geht.«
    Der Conte nickte. »Ereignisse wie die Rückkehr des Lupercus in die Menschenwelt können einem kaum entgehen. Es ist wie ein Erdbeben, wie der Einschlag eines Blitzes in die Erde. Wer war es, der das zu dir gesagt hat?«
    »Ein Mann mit Schlangenaugen.«
    Auf den Lippen des Conte erschien ein feines Lächeln, und ich war drauf und dran, ihn um eine Erklärung zu bitten, aber dann hielt ich an mich: Wenn ich weiterhin Fragen aufs Geratewohl stellte, würde es mir nie gelingen, mir einen Überblick über die gesamte Situation zu verschaffen. Also unterdrückte ich meine Neugier und richtete den Blick wieder auf meine Notizen; der Rest musste warten.
    »Am Morgen danach habe ich an meinem Körper eine Bisswunde gefunden, die innerhalb weniger Stunden wieder verschwunden ist, obwohl es ein tiefer Biss war.« Ich hob wieder den Blick. »Normale Wunden heilen nicht so einfach.«
    »Sicher nicht.«
    »Und dann … habe ich ganz absurde Sachen wahrgenommen. Unglaublich helle Farben, Gerüche, die ich mir nie auch nur hätte vorstellen können … Aber auch das war schnell wieder vorbei.«
    Der Conte legte die Hände auf den Tisch und verschränkte die Finger. »Du musst wissen, Veronica, dass dein Körper dabei ist, sich zu verändern. Bis zum heutigen Tag hatte dein Fleisch nur einen einzigen Geist zu repräsentieren, eine menschliche Seele. Jetzt wohnt in ihm auch etwas, das über die Grenzen des Menschlichen hinausgeht: Du hast die Welt wahrgenommen, wie sie der Wolf wahrnimmt, und du fühlst seine Vitalität auch in dir. Durch deine Adern strömt jetzt ein Leben, das das Vergehen der Zeit nicht kennt, für das das Verschließen von Wunden des Fleisches völlig normal ist.«
    Der Gedanke an das sich verändernde Fleisch ließ eine Welle der Übelkeit in mir hochsteigen, aber ich versuchte, weiterhin konzentriert zu bleiben. »Bedeutet das, dass diese Wahrnehmungen immer wieder kommen werden, dann, wenn ich am wenigsten damit rechne?«
    »Nicht, wenn du lernst, das zu kontrollieren, was du jetzt bist. In jenen ersten Stunden war der Wolf damit beschäftigt, mit seinem neuen Körper vertraut zu werden. Er hat Maß genommen, wenn wir es so ausdrücken wollen.«
    Ich fühlte eine unglaubliche Wut in mir hochsteigen und konnte nicht an mich halten. »Hören Sie auf, über meinen Körper zu sprechen, als würde er jemand anders gehören! Er ist kein Kleid, das jeder einfach so überstreifen kann. Er ist kein …« Ich biss mir heftig auf die Lippen.
    Der Conte sagte nichts.
    Ich zählte mit geschlossenen Augen bis zehn, dann öffnete ich sie wieder und begegnete dem Blick des Conte, der mich aus seinen beiden Smaragdaugen so ruhig ansah, als hätte nichts auf der Welt Bedeutung, außer uns beiden an diesem Tisch. Und wieder einmal stahl sich unter seinem Blick meine Panik ganz langsam davon.
    »Das, was dir widerfahren ist, Veronica, ist kein Fluch. Solange du nicht zulässt, dass er es wird. Es ist nicht einmal so etwas wie eine Krankheit oder eine Missbildung: Es ist ganz einfach eine Veränderung deiner Natur, die wie alle Veränderungen Unwohlsein und Angst mit sich bringt, am Anfang. Aber sie bringt auch Gutes, jedenfalls für den, der in der Lage ist, es anzunehmen. Sag mir, ist es dir nach dem ersten Tag nochmals gelungen, die Sinneswahrnehmungen des Wolfes zu teilen?«
    Ich nickte und erzählte von der Nacht, in der ich Regina vor den schwarzen Männern gerettet hatte.
    »Siehst du?«, meinte der Conte. »Bisher hat sich der Wolf in dir nur auf instinktivem Niveau manifestiert: Nämlich als du Angst hattest, als du das Gefühl hattest, auf eine Gefahr reagieren zu müssen. Du kannst dasselbe aber auch bewusst machen. Das Erbe des Wolfes ist dein, es gehört dir: Du

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