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Die zwei Monde: Roman (German Edition)

Die zwei Monde: Roman (German Edition)

Titel: Die zwei Monde: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Tarenzi
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musst nur lernen, es dir zunutze zu machen.«
    Trotz allem musste ich lächeln. »Ich muss also einfach nur meine übersinnlichen Kräfte kontrollieren?«
    Der Conte lächelte ebenfalls, und die Atmosphäre im Salon entspannte sich.
    Ich nahm mein Stück Kuchen in die Hand. »Da ist noch etwas. Sie haben gesagt, ich würde mich bei Vollmond in einen Wolf verwandeln; aber in dem Buch, das Sie mir gegeben haben, ist auch von Attacken am helllichten Tage die Rede, und auch zu Zeiten im Monatsverlauf, wo der Vollmond in weiter Ferne ist.«
    Der Conte wurde wieder ernst. »Wenn man dem Wolf zu viel Raum lässt, kann auch das geschehen. Das menschliche Wesen vergisst sich selbst, und an seiner Stelle bleibt nur das Tier. An diesem Punkt haben Tag, Nacht und Mond keine Bedeutung mehr: Bedeutung hat nur noch der Hunger.«
    Erneut jagte mir ein eiskalter Schauer den Rücken herunter. Da war noch eine weitere Frage auf meinen Zettel, eine, die mir förmlich die Kehle zusammenschnürte, jedes Mal, wenn ich an sie dachte.
    »In den Vollmondnächten …« Ich holte tief Luft. »Wie wird die Metamorphose vor sich gehen? Was wird mit mir geschehen?«
    Ich hatte lange darüber nachgedacht und festgestellt, dass ich genau wusste, wie es vor sich geht: Ich hatte es nur allzu oft gesehen, ausgedacht von Regisseuren, Schriftstellern, Comiczeichnern. Die Darstellung war immer gleich. Fleisch, das sich zusammenzog. Knochen, die ihre Form veränderten, mit einem Geräusch, das an zersplitterndes Holz erinnerte. Schreie. Viele Schreie.
    Der Blick des Conte wurde weich und füllte sich mit einer Zärtlichkeit, die ich noch nie an ihm beobachtet hatte und die mich überraschte. »Du möchtest von mir wissen, ob es schmerzhaft sein wird?«
    »Ja.«
    »Ich glaube nicht. Nicht schmerzhafter, als es die anderen Male gewesen ist, als du versucht hast, dich der Natur des Wolfes anzunähern.«
    Ich fühlte mich, als hätte mir gerade jemand zwanzig Kilo Blei von den Schultern genommen. »Aber wie ist das möglich? Ich meine, die Form zu ändern …«
    »Wie in den Träumen, Veronica. Denn um nichts anderes handelt es sich. Der Wolf kommt vom jenseitigen Ende dessen, was wir Realität nennen: Unsere Welt ist für ihn der Traum. Du bist sein Traum. Der Wolf wird träumen, Veronica zu sein, und beim Licht des Mondes wird Veronica träumen, der Wolf zu sein.«
    Wir schwiegen lange. Ich versuchte mir darüber klar zu werden, was all das für mich bedeuten würde, aber auch wenn jeder einzelne Satz für sich Sinn machte, so ging das Ganze doch weit über mein Vorstellungsvermögen hinaus.
    »Wie kann ich lernen, ihn zu kontrollieren?«, fragte ich schließlich.
    »Durch Übung«, erwiderte der Conte, wieder in diesem nüchternen Ton, den er auch für die unglaublichsten Antworten benutzte, als würde er von ganz normalen Tatsachen reden. »Indem du dir dein neues Sein vertraut machst. Dir den Wolf vertraut machst.«
    Ich war mir nicht sicher, ob mir die Idee gefiel. »Wie meinen Sie das?«
    Der Conte lächelte. »In deinen Träumen hast du schon Zugang zum Wolf gehabt: Du hast es freiwillig getan, und du hast sogar seine Erinnerungen an zweitausend Jahre alte Rituale wachgerufen. Der Wolf kennt sich selbst sehr gut: Er wird dich alles lehren können, was du wissen musst.«
    So ausgedrückt schien es die einfachste Sache der Welt zu sein. Probleme mit Lykanthropie? Angst, dich in einen Werwolf zu verwandeln? Nimm in deinen Träumen Unterricht beim Wolfsgott! …
    Ich fuhr mir mit der Hand über die Stirn: Ich fühlte mich müde und abgespannt. Und ich wusste, dass mir wenig Zeit blieb: Ein Blick auf die Uhr meines Handys bestätigte mir das.
    Der Conte verstand den Sinn meiner Geste. »Ich nehme an, es ist spät geworden für dich.«
    Ich nickte. »Eine Sache noch.«
    »Bitte sehr.«
    »Am Abend meines ersten Traums …« Ich versuchte, meine Gedanken zu ordnen. »Da ist etwas an mein Fenster gekommen: Ich habe es nicht gesehen, aber ich weiß, dass es da war. Und als es kam, ist es dunkel geworden.« Beim Gedanken an diese schrecklichen Momente lief mir noch einmal ein Schauer über den Rücken. »Aber sobald ich das Licht in meinem Zimmer angeschaltet habe, ist es verschwunden, mit einem Geräusch … das wie ein Flügelschlagen klang. Das Schlagen von großen Flügeln.«
    Die Augen des Conte wurden glasig. »Strigen.«
    Er sagte es in einem Ton, der mir das Blut in den Adern gefrieren ließ.
    »Was ist das?«
    »Alte Wesen. Geschöpfe aus einer Welt,

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