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Die zwei Monde: Roman (German Edition)

Die zwei Monde: Roman (German Edition)

Titel: Die zwei Monde: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Tarenzi
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»Nachrichten.«
    Ich fragte mich, ob es sinnvoll war, zu insistieren, schüttelte aber dann, mehr für mich selbst, den Kopf.
    »Hör zu, es gibt da eine Sache, die ich wissen muss.«
    Er nickte, mit seiner typischen, abgehackten Bewegung.
    »Als wir das erste Mal miteinander geredet haben, vor einigen Tagen … Da hast du gesagt, dass alle von der Rückkehr des Wolfes wüssten.«
    Er nickte wieder.
    »Du hast auch gesagt, dass mich jemand suchen kommen würde.«
    Diesmal erstarrte er, die Augen weit hervorquellend wie glänzende gelbe Kugeln.
    »Sag mir, wer dieser Jemand ist.«
    Ich machte neuerlich Anstalten, mich ihm zu nähern, aber dann hielt ich inne. Stattdessen ging ich in die Hocke und brachte meine Augen auf die Höhe der seinen.
    Einen Augenblick lang stellte ich mir die Szene von außen vor: ein Mädchen im türkisfarbenen Schlafanzug, das in einer dunklen und nebligen Gasse vor einem Mann mit Schlangenaugen kauert. Und derjenige von beiden, der Angst hat, ist er.
    Er machte keine Anstalten, mir zu antworten, aber ich fürchtete, dass ich mit Drängen nichts weiter erreichen würde, als seine Nervosität noch zu steigern.
    Denk nach, Veronica, denk nach …
    »Ist es jemand, der den Wolf jagt?«
    Der Bettler nickte.
    »Mehrere Leute?«
    Er nickte wieder.
    »Menschen oder … andere Wesen?«
    »Menschen.«
    »Warum? Warum jagen sie den Wolf?«
    Der Bettler presste fest die Lippen aufeinander. »Sie tun es einfach. Sie tun es von jeher.« Er senkte die Stimme noch mehr. »Sie haben Angst.«
    Ich atmete langsam ein. »Angst vor mir?«
    »Ja.«
    Ich versuchte, meine Gedanken zu sammeln. »Ich habe sie gesehen mit den Peitschen des Lupercals. Ich weiß, dass sie echt waren, geweiht durch das Ritual: Ich habe es gespürt . Gibt es Leute, die diese Riten auch heute noch zelebrieren?«
    Diesmal war die Antwort ein Flüstern, das auch meine Ohren kaum hören konnten. »Ja.«
    »Wir haben den fünfzehnten Februar gerade hinter uns: Haben sie das Ritual auch in jener Nacht gefeiert?«
    Der Mann schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht.«
    Ich schluckte: Jetzt kam die wichtigste Frage. »Wie stellen sie es an, den Wolf zu finden? Wenn du es weißt, ich bitte dich, sag es mir! Was tun sie, um ihn zu finden?« Diesmal war ich es, die die Stimme zu einem Flüstern senkte. »Wissen sie, wer ich bin? Kennen sie meinen Namen, mein Gesicht?«
    Der Bettler schien kurz davor, in Tränen auszubrechen. Stattdessen öffnete er den Mund und sagte mit offensichtlicher Mühe: »Ich weiß es nicht, wie sie es anstellen, den Wolf zu finden, ich weiß es nicht. Sie finden ihn nicht immer. Nicht immer. Aber wenn sie ihn finden, bringen sie die Riemen mit, um ihn zu binden, um ihn zu fesseln, und dann jagen sie ihn weg. Nach draußen. In die Dunkelheit. Sie wollen die Menschen schützen, verstehst du, sie vor dem Wolf schützen. Das ist ihre Aufgabe. Früher einmal gab es die Priester, vor langer Zeit: Jetzt gibt es nur noch sie.«
    Die Priester …
    »Soll das heißen, dass diese Menschen, diese … Wolfsjäger das tun, was die Luperci im antiken Rom getan haben?«
    »Ja.«
    Ich starrte einige Sekunden ins Nichts, dann stand ich wieder auf, langsam, damit es nicht wie eine Drohgebärde aussah.
    »Danke.«
    Er sah mich an, verwirrt und erschrocken, und plötzlich tat er mir unendlich leid.
    »Warum hast du so große Angst vor mir?«, fragte ich, indem ich mich wieder hinkniete.
    Er schüttelte den Kopf, mit offenem Mund, als ob er schon wieder seine Stimme verloren hätte.
    »Ich habe dir nie etwas zuleide getan. Ich will dir auch gar nichts zuleide tun! …«
    Er schluckte sichtbar. »Du bist der Herr der Wälder. Du bist der Wolf. Du nimmst Leben, wie du willst.«
    »Nein.« Ich schüttelte den Kopf. »Nein, nein, nein! Ich bin nicht der Herr der Wälder. Ich heiße Veronica. Das ist mein Name. Sieh mich an!« Ich führte mein Gesicht genau vor das seine, wobei ich versuchte, seinen zu Tode erschrockenen Blick zu ignorieren. »Du sagst, du hast Augen, die die Wahrheit sehen: Dann schau in die meinen! Ich heiße Veronica, ich bin siebzehn Jahre alt, ich bin in Ravenna geboren. Sieh mich an: Ich bin ein Mädchen!«
    Ich verspürte den Impuls, seinen Kopf mit den Händen zu umfassen, aber ich widerstand. Stattdessen sah ich ihn einfach nur weiter an, sah in die Reptilienaugen, die jetzt unfähig schienen, sich von den meinen zu lösen. Und die ganz langsam ruhiger wurden, als ob sie endlich etwas bemerkt hätten, das zu sehen sie

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