Die zwei Monde: Roman (German Edition)
Wir schwammen zusammen, wir plauderten, wir lachten uns halbtot wie Kinder, ich weiß nicht mal mehr, worüber. Ich fühlte mich leicht und schwerelos, auch außerhalb des Wassers.
Ab und zu warf ich einen Blick auf das andere Becken und sah, wie Elena es mit schnellen und regelmäßigen Armzügen durchquerte, oder wie sie vom Sprungbrett sprang mit einer Präzision, die mich in einem anderen Moment grün vor Neid hätte werden lassen. Aber dann sah ich Ivan an und vergaß sofort alles andere.
Als ich schon ziemlich müde war und mich zur Entspannung auf dem Rücken treiben ließ, tauchte sie plötzlich mit ruhigem Schritt in meinem Blickfeld auf und blieb am Beckenrand stehen, um mich anzusehen. Sie war mindestens so lange geschwommen wie ich, aber sie war nicht mal außer Atem.
Als unsere Blicke sich trafen, nickte sie mir grüßend zu, und ich richtete mich auf, um ihre Geste zu erwidern.
»Ich habe dich noch nie schwimmen sehen«, sagte sie. »Dein Stil ist gut.«
»Danke. Deiner auch.«
Ich warf einen nervösen Blick auf Ivan, der am Beckenrand saß und uns zusah. Worauf wollte sie hinaus?
Sie kam noch näher. »Hast du Lust auf eine gemeinsame Runde?«
Ah, das war es also.
Mein erster Gedanke war einer des Triumphs: Ich hatte sie gezwungen, sich zu offenbaren. Sie war gekommen, um mir Probleme zu machen, oder jedenfalls um mir in meiner vertrauten Umgebung auf die Nerven zu gehen, genau wie ich von Anfang an angenommen hatte. Aber ich hatte sie gezwungen, den ersten Schritt zu machen und mich offen herauszufordern. Den wahren Grund zu zeigen, der sie hergeführt hatte. Eins zu null für mich.
Aber der Genugtuung folgten die Warnsignale. Ich war fast eine Stunde geschwommen, ich war müde und erschöpft, und Elena – es war unnötig, das zu ignorieren – war mir überlegen: Nur ein Blinder hätte das nicht gemerkt. Und Ivan war nicht blind.
Wenn ich Ja sagen würde, müsste ich vor Ivans Nase mit ihr um die Wette schwimmen. Und wenn ich Nein sagen würde, zumindest ohne überzeugende Ausrede, wäre das die Blamage des Jahrhunderts. Auch das vor Ivan.
Ich brachte ein falsches Lächeln hervor. »Okay.«
Sie zeigte auf die Startblöcke am Ende des Beckens. »Vom Block oder vom Sprungbrett?«
Es kam also immer noch schlimmer …
»Vom Sprungbrett«, erwiderte ich in einem Anfall von Übereifer, den ich sofort bereute.
Sie bemerkte es, und ihr Lächeln wurde breiter. »Vier Bahnen?«
Ich nickte.
Ich fand nicht den Mut, in Ivans Richtung zu sehen, als wir uns gemeinsam auf den Weg machten. Stattdessen kletterte ich die Leiter hinauf wie ein Verurteilter zum Schafott. Konzentrier dich, Veronica. Streng dich an! Wenn du dich nicht gleich nach dem Sprung überholen lässt, gewinnst du mindestens eine ganze Sekunde.
Wir sprangen zusammen, und so konnte ich nicht sehen, wie gut sie im Wasser ankam. Aber ich sah sehr wohl, dass sie mich auf der Hälfte der ersten Bahn schon ein gutes Stück hinter sich gelassen hatte. Ich schluckte Wut und Panik hinunter und versuchte, alle Gefühle aus meinem Blick zu verbannen, wo sie mir nur hinderlich gewesen wären, und sie stattdessen in die Muskeln zu leiten.
Elena berührte den Rand nach der ersten Bahn zwei Sekunden vor mir, fließend und präzise wie eine Maschine. Mir kamen zwischen dem einen und dem anderen Armstoß schier die Tränen: Es war alles völlig überflüssig, ich würde es sowieso nie schaffen.
Und dann kam, aus dem hintersten Winkel meines Gehirns, plötzlich eine Idee daher. Eine so einfache und gleichzeitig so absurde Idee, dass ich auch heute nicht sagen könnte, wieso ich nicht schon früher daran gedacht hatte. Wie schnell kann jemand schwimmen, der in der Lage ist, wie der Wind von einem Dach zum anderen zu springen?
Ich schloss die Augen und rief den Wolf.
Ich dachte nicht mal darüber nach. Ich dachte nicht daran, dass ich es noch nie unter Bedingungen wie diesen getan hatte, dass es mir noch nie so bewusst gelungen war. Aber jetzt war alles anders: Jetzt kochte mein Blut und mein Herz schlug wie verrückt und jeder Muskel meines Körpers war zum Zerreißen gespannt. Aber auch daran dachte ich nicht: Ich rief ihn und basta. Und noch einen Augenblick, bevor er es wirklich war, wusste ich, dass er da sein würde.
Die Welt um mich herum explodierte mit einer Heftigkeit, die noch bizarrer war als die anderen Male. Das Gluckern des Wassers in meinen Ohren wurde zum donnernden Getöse, der scharfe Geruch des Chlors war geradezu
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