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Die zwei Monde: Roman (German Edition)

Die zwei Monde: Roman (German Edition)

Titel: Die zwei Monde: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Tarenzi
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Windschutzscheibe auf die leere Straße.
    Ich fand keine Worte.
    »Geh nach Hause. Wir sehen uns Mittwoch. Ciao.«
    Ich glitt aus dem Auto und schloss die Tür hinter mir; er startete sofort den Motor und fuhr davon.
    Es verging ziemlich viel Zeit, bevor es mir gelang, die Beine zu bewegen. Auf dem Weg zu meinem Haus glühte meine Haut in der kalten, beißenden Nachtluft. Fast ohne es zu merken, rief ich den Wolf, und die Kälte verschwand sofort. Ich roch Ivans Geruch an meinem Körper, so intensiv, wie es für ein menschliches Wesen nie möglich sein würde; es war ein weicher Geruch, nach junger Haut und Moos. Ich hatte ihn an den Händen, den Haaren, den Lippen.
    Ich war fast zu Hause, aber die Vorstellung, in mein Zimmer zurückzukehren und mich einfach ins Bett zu legen, machte mich ganz verrückt. Mit einem Sprung hüpfte ich auf ein Gittertor, von dort weiter auf einen Mauervorsprung und dann auf das Dach des nächsten Gebäudes.
    Ich merkte erst, was ich getan hatte, als ich von oben auf die Straße unter mir blickte. Ein Absatz meiner Stiefeletten war abgebrochen, aber das war mir völlig egal; ich ließ Tasche und Schuhe einfach auf den Dachziegeln liegen und schoss dann los wie ein Pfeil unter dem schwarzen Himmel, in der einzigen Hoffnung, dass mein Lauf und der Wind jeden Gedanken aus meinem Kopf fegen würden.
    Als ich mich etwas ruhiger fühlte, kam mir die Idee, einen Blick auf Giadas Haus zu werfen, einfach nur um zu sehen, wo es sich befand. Geführt von dem untrüglichen Instinkt, über den ich mich inzwischen nicht mal mehr wunderte, bewegte ich mich auf die Peripherie im Süden Mailands zu und erreichte in kurzer Zeit mein Ziel. Giada wohnte am Ende einer Straße mit frei stehenden Reihenhäusern, in einem cremefarbenen, zweistöckigen Gebäude. Es sah genauso aus wie die anderen Häuser neben ihm und war – genau wie alle anderen – von einer hohen Hecke umgeben und durch einen Gitterzaun von der Straße abgetrennt. Die Haustür war von einem niedrigen Vordach überwölbt, unter dem zahlreiche Blumenvasen standen. Die Fensterläden hatten eine unangenehm rötlich braune Farbe.
    Es war kein Problem für mich, die Hecke zu überwinden: Ich hüpfte einfach in den Garten und kroch zwischen die dunklen Büsche, um zu lauschen. Ich hörte aus der Ferne das Rumpeln eines einsamen Autos und in meiner Nähe, das Summen von elektrischen Leitungen und das leise Tropfen eines lecken Wasserrohrs, das wer weiß wo in den Tiefen der Wände verborgen war. Ansonsten Stille.
    Ich glitt unter das Vordach und ließ zu, dass die Sinne des Wolfes mir diktierten, was ich zu tun hatte. Ich bückte mich hinunter auf die Schwelle und schnüffelte mit geschlossenen Augen: Menschengeruch, sehr intensiv, drang wie unsichtbare Rauchschwaden durch die Türritzen. Drei Personen, zwei Frauen und ein Mann, und eine der beiden Frauen viel jünger als die andere; offensichtlich war Giada ein Einzelkind.
    Ich bewegte mich lautlos um das Haus herum und atmete vor jedem Fenster tief ein, ich würde Giadas Zimmer ohne Zweifel erkennen können.
    Als ich an einem Fenster vorbeikam, das kleiner war als die anderen, ging dahinter ein Licht an. Ich zuckte zurück und drückte mich flach auf den Rasen. Jemand bewegte sich im Inneren des erleuchteten Raums: In der Stille hörte ich einen Menschen atmen.
    Ich rückte wieder näher, unter das Fensterbrett geduckt, und hob dann ganz langsam den Kopf, um durch die Ritzen des Fensterladens ins Innere zu lugen: ein Fußboden, weiße und hellblaue Keramikfliesen an der Wand, der gekrümmte Rand eines Waschbeckens – das Badezimmer ganz offensichtlich. Und da war auch das dunkle Profil eines Kopfes, gleich neben dem Fenster.
    Ich holte Luft und konzentrierte mich, während ich durch die Ritzen dem menschlichen Geruch nachschnüffelte: weiblich, jung und sehr gesund. Giada.
    Innerhalb von Sekundenbruchteilen nahm in meinem Kopf ein Gedanke Gestalt an. Es war eine verrückte Idee, die mir – so möchte ich zumindest glauben – unter normalen Umständen nicht mal ansatzweise in den Sinn gekommen wäre. Aber dies waren keine normalen Umstände. Ich spürte, wie sich das Blut des Wolfes in meinen Venen aufheizte, eine Art Stromstoß, der mir eine Gänsehaut machte.
    Ich war nicht deswegen hergekommen, sicher nicht! Eigentlich war ich nur hier, um herauszufinden, wo Giada wohnte, um sie vielleicht demnächst mal am Abend abzupassen, entweder hier vor ihrem Haus oder in einer Gasse in der Umgebung

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