Die zweite Frau des Arztes (Contoli-Heinzgen-Krimi)
sind alles nur Vermutungen. Wir haben noch keine Beweise, aber es wäre eine denkbare Spur, die meine Frau gefunden hat.“
Eva lachte hysterisch auf.
„ Er hat vielleicht meine Mutter auf dem Gewissen, mein Gott, und wenn das stimmt, dann muss er lange Zeit in Angst gelebt haben. Und das eigentlich auch jetzt noch, denn er konnte ja nicht wissen, dass, wenn ich wieder zu mir kommen würde, kopflos aus dem Haus renne und mich an nichts erinnere. Oder glauben Sie, dass er mich gar auch umbringen wollte?“
„ Fest steht, derjenige, der an dem Abend im Haus war, wollte auf keinen Fall gesehen werden und ist volles Risiko gefahren. Und gesetzt den Fall, es war Dr. Bischoff, der zu diesem Zeitpunkt im Haus war, dann müsste er zumindest wissen, was mit Ihrer Mutter geschehen ist“, erklärte Wolf.“
„ Ja, und er könnte es mir sagen.“
Wolf wusste nicht, wie das konkret vor sich gehen sollte und fragte.
„Wollen Sie mit ihm sprechen? Hier?“
Ihre abweisende Handbewegung beantwortete seine Frage, die er in dem Moment selbst als überflüssig empfand. Plötzlich klang ihre Ihre Stimme hart, fast ungnädig.
„Weiß die Polizei das alles schon?“
„ Nein, um Gottes Willen.“
„ Könnte Ihre Frau noch etwas weiter recherchieren?“, fragte Eva zaghaft.
„ Das wird sie so oder so. Wie ein Tiger auf Beutejagd.“
„ Erfahre ich auch, wenn sie die Beute hat?“
„ Ich werde Sie informieren.“
Eva verzog die Lippen. Wolf glaubte für einen Moment, es würde ein Lächeln daraus, doch ehe er zu Ende gedacht hatte, erstarb es in seinen Anfängen. Sie blickte ihn ernst an.
„Die Mauer in meinem Kopf. Vielleicht ist Dr. Bischoff das Ungeheuer, das dahinter auf mich lauert. Vor das ich Angst habe.“
„ Den Gedanken hatte ich auch schon, Eva.“
„ Aber ich könnte es immer noch gewesen sein. Ich meine, dass ich meine Mutter vielleicht doch ...? Aber andererseits, wieso hätte ich sie töten sollen? Wir haben uns doch zu der Zeit gut verstanden. Über was hätte ich mich mit ihr derart streiten sollen, dass ich sie die Treppe herunter stoße?“
Sie holte tief Luft und hielt sich dabei beide Händen vor den Mund. Durch die leicht gespreizten Finger sagte sie.
„Ich könnte den Gedanken nicht ertragen, meine Mutter auf dem Gewissen zu haben. Wenn ich mir das auch nur eine Sekunde vergegenwärtige, würgen sofort Furcht und Abscheu meinem Magen ab. Dann fühle ich mich klein und verstört, weil das Ungeheuer hinter der Mauer grunzt und ich nicht den Mut habe, mich umzudrehen, aufzurichten, endlich den Kopf zu heben und hinter die Mauer zu schauen.“
Sie nahm ihre Hände vom Mund, runzelte unvermittelt die Stirn und schüttelte mit fragender Miene den Kopf.
„Wieso bin ich kopflos aus dem Haus gerannt, als ich sie habe liegen sehen? Und wieso konnte ich das darauf hin völlig vergessen?“
Wolf dachte an die Diagnosen, die in Evas Akte standen, an die der psychogenen Amnesie, das psychisch bedingte Ausblenden bestimmter Erinnerungen. Vielleicht war die kleine hilflose Eva am Werk gewesen, die alles verdrängt hatte, um zu überleben. Die es in dem Moment furchtbar mit der Angst bekommen hat und davon gerannt ist. Und er dachte an seine Diagnose der multiplen Persönlichkeit, bei der sich Dutzende von Charakteren entwickeln können, um dem Individuum zu helfen, mit einer schwierigen Lebenssituation zurechtzukommen. Und bei fast allen multiplen Fällen, die er kannte, über die er gelesen hatte, lag jahrlanger schwerer Kindesmissbrauch vor.
„Entweder“, begann Wolf, „Sie haben es verdrängt, oder es ist in dem Moment des Schocks eine Ihrer Spaltpersonen herausgekommen, um Ihr Überleben zu sichern.“
Eva sah ihn unbeweglich an. In ihren Augen las er den Wunsch nach mehr Informationen.
„Ich habe mit Ihnen noch nicht darüber gesprochen, aber ich bin ziemlich sicher, dass Sie multipel sind.
„ Multipel?“, wiederholte sie gedehnt. „Erklären Sie mir das.“
„ Ich will es versuchen. Ich kann es zeitmäßig hier nur anreißen.
„ Die multiple Persönlichkeit ist eine dissoziative psychische Störung, bei der in einem Individuum zwei oder mehr unterschiedliche eigenständige Persönlichkeiten existieren. So steht es im Lehrbuch.“ Wolf lachte entschuldigend. „Ich will es mal etwas einfacher ausdrücken. Zu jener Zeit, als Sie Kind waren und Ihnen diese schrecklichen Dinge passiert sind über viele Jahre hinweg, Sie sich nicht wehren oder weglaufen konnten, hat Ihre Psyche
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