Die zweite Tochter: Thriller (German Edition)
Reifen quietschten, der Volvo wirbelte umher wie bei einer Achterbahnfahrt.
Da! Ein weiterer Schlag. Sie war mit ihrem Wagen in einen Zaun gerast. Der Airbag blies sich auf, sie sah nichts mehr außer Plastik, roch nichts mehr außer Gummi. Irgendein übel riechendes Pulver landete in ihrem Gesicht, und der Airbag fiel so schnell in sich zusammen, wie er aufgegangen war. Der Volvo bewegte sich noch immer unkontrolliert, mal rutschte er nach hinten, mal zur Seite. Ein niedrig hängender Ast brach durch die Windschutzscheibe auf der Beifahrerseite.
»Nein!«, schrie Jill. Überall Glasscherben. Überall Blätter und Zweige. Endlich kam der Wagen zum Stillstand.
»Bitte, kehren Sie um. Bitte, kehren Sie um«, sagte das Navi.
Wie betäubt saß Jill auf dem Fahrersitz. Ihr Kopf drohte vor Schmerzen zu explodieren, Blut rann über ihre Stirn. Mit zitternder Hand versuchte sie es zu stoppen. Das Blut fühlte sich warm an. Ihr Herz schlug wie wild. Sie überprüfte Arme und Beine, nichts war gebrochen, aber ihre linke Hand blutete. Eine Schnittwunde. Überall lagen Glasscherben, alles war mit Blut verschmiert, aber sie lebte.
Danke. Danke.
Der Motor lehnte sich ein letztes Mal auf, dann verstummte er. Die vielen Blätter, die zerborstene Frontscheibe, Jill konnte nichts sehen. Ihr Wagen schien rückwärts zur Straße zu stehen. Dann ertönte der Schrei eines Menschen. War das einer ihrer Verfolger?
Sie wollte sich aus dem Wagen winden, war bereit, um ihr Leben zu rennen, doch das war nicht mehr nötig. Sie sah, wie am Horizont der silberfarbene Wagen verschwand, der graue war gegen eine Eiche auf der anderen Straßenseite geknallt. Mit seiner Beifahrerseite klebte er direkt am Baumstamm, Autodach und Motorhaube waren mit abgebrochenen Zweigen übersät. Die Pferde auf der nahen Weide hatten die Flucht ergriffen und galoppierten auf eine Scheune auf dem Hügel zu.
Der Fahrer der grauen Limousine saß zusammengesunken hinter seinem Airbag, aus dem die Luft bereits wieder entwich. Er bewegte sich nicht. Der Aufprall musste schrecklich gewesen sein. Und auch wenn er versucht hatte, sie umzubringen, war es doch ihre Pflicht, ihm zu helfen.
»Miss, sind Sie noch da?«, fragte eine besorgte Stimme plötzlich. »Miss?«
Jills Handy war noch mit dem Notruf verbunden. Sie schob den Airbag beiseite und hob ihr Blackberry auf. »Hallo?«
»Miss, können Sie sprechen?«
»Ja, ich bin okay, aber den Fahrer des einen Wagens hat es ziemlich erwischt. Ich kümmere mich um ihn. Rufen Sie einen Krankenwagen.«
»Lassen Sie die Finger von dem Verletzten. Der Krankenwagen ist schon unterwegs.«
»Keine Sorge, ich bin Ärztin.« Jill kletterte aus dem Fahrersitz. Sie hörte, wie Glas klirrend auf den Asphalt fiel, es roch nach Benzin und verbranntem Gummi. Es bereitete ihr Schmerzen, das Handy gegen das Ohr zu halten. »Ich muss auflegen.«
»Rufen Sie uns an, falls Sie noch etwas brauchen.«
Jill steckte das Telefon in die Hosentasche und taumelte auf die Limousine zu. Blut tropfte ihr von der Stirn.
Sie öffnete die Wagentür. Der Kopf des Fahrers lag auf dem Airbag, sodass sie nur seinen Hinterkopf sehen konnte. Immerhin war sein Genick nicht gebrochen, aber die Kopfhaut wies eine große Schnittwunde auf, aus der das Blut nur so strömte. Die Haare waren bereits rot durchtränkt. Blutige Rinnsale liefen über sein Gesicht.
»Sir?« Sie berührte ihn. Da seine Hände unter dem Airbag steckten, suchte sie an der Halsschlagader nach seinem Puls. »Sir, hören Sie mich? Können Sie sich bewegen? Ich bin Ärztin.«
»Oh«, stöhnte er und fiel nach vorn.
»Sir, können Sie die Beine bewegen?« Jill versuchte erst gar nicht ihn aus dem Sitz zu befreien, da das herausgebrochene Armaturenbrett fest auf seinen Knien verkeilt war. Es war durchaus möglich, dass seine Beine gebrochen waren. Die gesprungenen Brillengläser lagen auf dem Airbag, Scherben der Windschutzscheibe waren auf dem Sitz verstreut. Der Fahrer trug einen Anzug.
»Sir, können Sie sich bewegen?«
»Nein«, sagte der Mann mit schwacher Stimme. Er blieb in seiner Position, drehte aber sein Gesicht zu ihr.
Jill rang nach Luft. Trotz des Blutes, das aus den Wunden über sein Gesicht strömte, erkannte sie den Fahrer sofort. Es war Brian Pendle, Victorias Freund.
»Brian?«, fragte Jill erstaunt. Kurz danach verdrehten sich seine Augen.
55
»Danke«, sagte Jill zu dem muskelbepackten Sanitäter, der ihr in den Krankenwagen half. Weitere Sanitäter zogen Brian aus
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