Dieb meines Herzens
und nicht in ihrem eigenen Stadthaus zu töten. Dieses Ungeheuer hatte zweifellos die Erregung ausgekostet, die es mit sich brachte, einen Mord in einem Haus voller Gentlemen zu begehen, die glaubten, sie stünden gesellschaftlich über ihm. Delbridge unterdrückte einen Seufzer. Hulsey hatte recht. Lancing war weder geistig normal noch beherrschbar. Doch er war überaus nützlich.
»Wie lange dauerte es, bis Sie gewaschen und umgezogen waren?«, fragte Delbridge, der sich zur Geduld zwingen musste.
Wieder zog Lancing lässig die Schultern hoch. »Zwanzig Minuten etwa.«
Delbridge knirschte mit den Zähnen. »Und Sie sind nicht gekommen, um mir zu sagen, dass der Kristall weg ist und dass die zwei Wachen bis halb vier bewusstlos waren?«
»Nancy Palgrave kam und suchte mich.« Lancing feixte. »Als ich das Schlafzimmer verließ, traf ich sie auf dem Treppenabsatz
im ersten Stock. Natürlich lud ich sie in eines der Schlafzimmer ein. Was hätte ein Gentleman unter diesen Umständen sonst tun sollen?«
Wahrscheinlich musste man dies zu Lancings Schwächen zählen, dachte Delbridge. Die Jagd und das Töten erregten ihn sexuell. Als er sah, dass ihn eine attraktive Frau erwartete, hatte er der Versuchung nicht widerstehen können.
Dann war noch mehr Zeit vergangen, weil man sich der Krise erst widmen konnte, als der letzte Gast das Haus verlassen hatte. Schließlich musste man warten, bis auch das Mietpersonal gegangen war. Seine Haushälterin und ihren Mann, die einzigen zwei Dienstboten, die im Haus wohnten, hatte er zu Bett geschickt. Sie hatten ihm jahrelang treu gedient; beide wussten es besser, als seine Anordnungen in Frage zu stellen.
Da kam ihm ein Gedanke. Er blieb stehen und runzelte die Stirn.
»Vielleicht wurde der Stein schon früher am Abend gestohlen, ehe Sie Miss Stubton hier herauf folgten«, gab er zu bedenken.
»Vielleicht.« Wie immer kümmerten Lancing unwichtige Details wenig.
»Sind Sie sicher, dass Sie mir nichts über den Dieb sagen können?«, fragte Delbridge zum wiederholten Mal.
Lancing nahm vor dem Schrank Aufstellung, in dem der Kristall aufbewahrt worden war. »Ich erklärte schon, dass ich nur den von starken Emotionen hinterlassenen Keim spüren kann. Angst. Zorn. Leidenschaft. Diese Dinge. Hier spüre ich nichts dergleichen.«
»Der Dieb muss aber von starken Gefühlen erfüllt worden sein, als er den Kristall an sich nahm und die Giftdämpfe einatmete«, beharrte Delbridge. »Schock. Angst. Irgendetwas. «
Lancing umfasste das Schloss mit einer langfingrigen Hand. »Ich sagte schon, dass es zu verschwommen ist, als dass man es deuten könnte. Viele Menschen haben es in den letzten Tagen berührt, auch Sie selbst.« Er hielt plötzlich und für ihn ungewöhnlich nachdenklich inne. »Tja, ich glaube eine Andeutung von Kraft zu spüren, wenn ich mich sehr konzentriere.«
Delbridge spürte die Energiewelle um Lancing, als der Killer seine übersinnlichen Fähigkeiten einsetzte, um das Schloss zu untersuchen. Obwohl er darauf gefasst war, empfand er sie als enervierend. Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Sogar Hulsey, dessen Talente im Reich der Wissenschaft lagen, musste die dunkle Aura des Killers gespürt haben. Hastig trat er einen Schritt zurück.
»Keine Emotion?«, fragte Delbridge drängend.
»Nein, nur eine Energiespur«, sagte Lancing. »Merkwürdig. Diese Art Keim spürte ich noch nie. Wer immer es war, muss sehr stark gewesen sein.«
»Auch ein Jäger vielleicht?«
»Ich weiß es nicht.« Lancings Neugierde schien geweckt. »Wo so viel Kraft ist, gibt es eine Kapazität für Gewalt. Wer immer es ist, er ist gefährlich.«
»So gefährlich wie Sie?«, fragte Delbridge leise.
Lancing zeigte sein engelhaftes Lächeln. »Niemand ist so gefährlich wie ich, Delbridge. Das wissen Sie.«
Hulsey räusperte sich. »Entschuldigung, Euer Lordschaft, doch gäbe es eine logische Erklärung für das Fehlen jener Keime, auf die Mr Lancing anspricht.«
Delbridge und Lancing sahen ihn an.
»Nun?«, drängte Delbridge, wie immer ungeduldig, wenn er mit dem Forscher sprach.
»Der Dampf entwich in das Gesicht des Diebes, als dieser
den Beutel mit dem Kristall berührte«, sagte Hulsey. »Es könnte sein, dass er den Schrank oder das Regalbrett gar nicht angefasst hat, verstehen Sie? Nur den Beutel.«
Lancing nickte. »Klingt vernünftig. Wenn er keinen Kontakt mit dem Schrank hatte, nachdem er die Falle auslöste, kann er keine Keime hinterlassen haben.«
Delbridge
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