Dieb meines Herzens
ideale Gelegenheit ansah, sie loszuwerden und den Stein zu stehlen.«
»Ja. Weil mir bald darauf das Geld ausging, konnte ich die Suche nach dem Stein eine Zeit lang nicht fortsetzen.«
»Hast du denn nicht die Klienten deiner Mutter übernommen?«
»Es zeigte sich, dass die Leute nur ungern eine Sechzehnjährige konsultieren und ihr so persönliche Dinge wie Träume anvertrauen.«
»Ich verstehe.«
Sie straffte die Schultern und konzentrierte sich auf ihre Geschichte. »Als ich meine Mutter begraben hatte und meine nutzlose Suche bei Lord Rufford aufgeben musste, stellte ich fest, dass die Klienten ausblieben. Dazu kam, dass der skrupellose Bestattungsunternehmer mir den Großteil des Geldes, das mir meine Mutter hinterlassen hatte, abknöpfte. Der Mann betrog mich, doch ich konnte es nicht beweisen.«
Er stand reglos da und sah sie mit undeutbarer Miene an. »Du musst sehr verzweifelt gewesen sein.«
»Das war ich.« Sie blickte an ihm vorüber aus dem Fenster. »Die Welt macht es einer Frau so schwer, einen ehrbaren Beruf auszuüben, und dann wundern sich alle, wenn so viele Frauen auf der Straße landen.«
»Über dieses Thema brauche ich keine Belehrungen. Die Frauen meiner Familie schwingen regelmäßig Reden darüber.«
»Ich erwog, wieder in einem Haushalt zu arbeiten, als Onkel Edward auftauchte.«
»Wer ist Onkel Edward?«
»Mein einziger verbliebener Angehöriger, und zwar mütterlicherseits. Als meine Mutter ums Leben kam, befand er sich auf Reisen in Amerika. Da ich nicht wusste, wo er sich aufhielt, konnte ich ihm weder schreiben noch kabeln. Ein paar Monate später kehrte er nach England zurück und suchte mich unverzüglich auf. Er sah sofort, wie es um meine Finanzen bestellt war und lud mich ein, bei ihm zu wohnen.«
»Wusste dein Onkel vom Aurora-Stein?«
»Natürlich. Ich dachte, das hätte ich klar gesagt. Der Stein befand sich seit Generationen in meiner Familie.«
»Ausgenommen, wenn er woanders ist«, sagte Thaddeus in nervtötend neutralem Ton.
Sie warf ihm einen vernichtenden Blick zu, den er nicht zu bemerken schien.
»Erzähl mir von deinem Onkel«, forderte er sie auf.
Sie unterdrückte einen kleinen Seufzer und fuhr fort: »Ehrlich gesagt, kannte ich ihn damals nicht sehr gut, da ich ihn als Kind nicht oft zu sehen bekommen hatte. Er kam nur selten zu Besuch. Ich wusste, dass Mutter und Großmutter ihn sehr mochten, sie schienen mit ihm aber nicht ganz einverstanden.«
»Warum das?«
»Unter anderem war er Schauspieler. Er war immer auf Tournee, entweder hier oder in Amerika. Dazu kam, dass er bei Frauen einen gewissen Ruf hatte. Obwohl ich fairerweise sagen muss, dass er nicht viel tun musste, um weibliche Aufmerksamkeit zu erregen. Er ist ein sehr distinguierter und charmanter Mann. Frauen umschwärmen ihn wie Bienen den Honig.«
»Hat er dich gut behandelt?«
»Aber ja.« Sie lächelte ein wenig. »Auf seine Art hat er mich sehr gern.«
»Wenn dies so ist – wo ist er jetzt?«
Sie blickte auf Fog hinunter. »Er ist wieder in Amerika.«
»Wo in Amerika?«
Sie grub ihre Finger in Fogs Fell. »Ich weiß es nicht.«
»Dein Onkel ging nach Amerika und ließ dich allein?«
Sie runzelte die Stirn. »Ich bin ja nicht mehr sechzehn. Heute kann ich sehr gut allein für mich sorgen.«
»Wann ist er wieder nach Amerika gegangen?«
Sie zögerte. »Vor etwa zwei Jahren.«
»Hast du seither von ihm gehört?«
»Ich bekam ein Telegramm von der Polizei in San Francisco, in dem mir mitgeteilt wurde, dass Onkel Edward bei einem Hotelbrand ums Leben kam. Das war vor etwa eineinhalb Jahren.«
Thaddeus schwieg lange. Als sie ihn wieder anschaute, sah sie, dass sein Blick nachdenklich auf ihr ruhte.
»Du glaubst nicht an seinen Tod«, sagte er.
»Nun, vielleicht ist es so, dass ich es nicht glauben will. Onkel Edward ist mein einziger Angehöriger. Die Vorstellung, dass man gar keine Familie mehr hat, ist nicht angenehm.«
»Ich verstehe. Berichte mir von dem Leben mit Onkel Edward.«
»Ist das für deine Ermittlungen von Belang?«
»Ich weiß es nicht«, gab er zu. »Aber wie ich schon sagte, will ich Informationen, je mehr, desto besser.«
»Es ist eine komplizierte Geschichte«, sagte sie.
»Ich höre.«
»Mein Onkel, der wusste, dass ich die Gabe meiner Mutter geerbt hatte und in Kristallen lesen konnte, machte den Vorschlag, wir sollten das Familienunternehmen gemeinsam betreiben – er als mein Manager.«
»Wie kam er mit der Tatsache zurecht, dass die
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