Diebin der Nacht
sind nur leicht bewacht.«
»Du weißt doch, was beim letzten Mal passiert ist«, erinnerte sie ihn. »Ein Dienstmädchen hätte sie beinahe auf frischer Tat ertappt.«
»Ja, nun, ich denke, dass Rose und Hush ebenfalls zum Taschendiebstahl auf die Straße zurückkehren sollten. Ich zögere zwar, dieses Risiko einzugehen, denn sie könnten als unsere Bediensteten erkannt werden. Die Alternative jedoch ist noch viel schlimmer.«
»Es ist ja nur für die nächste Zeit«, erwiderte sie und beobachtete ihn dabei genau. »Wie sieht’s auf Dauer gesehen aus? Werden wir zum Straßenraub zurückkehren müssen?«
Er schüttelte seinen Kopf. »Natürlich nicht. Zumindest du würdest es nicht müssen, wenn du, nur mit deinem beachtlichen Charme bewaffnet, andere, sicherere und lukrativere Wege einschlagen würdest.«
Argwohn machte sich in ihrem Magen breit. »Andere Wege wie... ?«
»Wie Rafe Belloch zu heiraten«, antwortete er mit unverblümter Offenheit.
Sie hätte am liebsten laut losgelacht, so absurd und dumm war das. Stattdessen schüttelte sie lediglich ihren Kopf, hartnäckig darum bemüht, ihn davon zu überzeugen, wie falsch es von ihm war, so zu denken.
»Paul, ich habe dir doch von Anfang an gesagt, dass Rafe Belloch nicht heiratswillig ist.«
»Aber er-«
»Ja, ja, ich weiß, er zeigt großes ... Interesse an mir. Du nennst es Verlangen, und vielleicht ist das ja auch mit im Spiel. Verlangen allein wird jedoch einen Mann wie ihn nicht vor den Altar zwingen.«
»Also gut, aber ein Skandal könnte ihn zu dem zwingen, was Verlangen nicht vermag.«
Hitzewellen krochen ihr den Nacken hinauf. »Da würde ich lieber einen Mann mit vorgehaltener Waffe ausrauben.«
»Mystere, wo Geld im Spiel ist, ist Scheinheiligkeit fehl am Platz, siehst du das nicht? Glaubst du etwa, John Jacob Astor oder Cornelius Vanderbilt haben ihr Vermögen durch Ritterlichkeit erworben? Hast du eine Vorstellung davon, wie viele Menschen in gefährlichen Minen umkommen müssen, damit New Yorks Frauen der Oberschicht mit
Gold und Diamanten protzen können? Und ich persönlich scher mich einen Dreck darum.«
»Selbst wenn ich Rafe in einen Skandal verwickeln könnte, selbst wenn ich ihn heiraten wollte, so würde das nichts ändern.«
»Und warum nicht?«
»Aus dem einfachen Grunde, weil er darauf aus ist, mich zu vernichten und nicht, mich zu verführen. Uns zu vernichten, Paul, dich und mich.«
»Wenn das so wäre, warum sollte er dann jede Gelegenheit wah rn ehmen, seinen Namen in Verbindung mit dem deinen in die Klatschblätter zu bekommen? Er ist nicht irgendein geckenhafter Dandy aus der Welt des Theaters, wo ein Skandal das eigene Ansehen nur erhöhen kann. Rafe ist ein solider Mann, der sich ein kleines Imperium aufgebaut hat! Warum sollte er nur für ein wenig Druckerschwärze in den Boulevardzeitungen so viel riskieren?«
»Das kann ich dir auch nicht beantworten, denn ich kann nicht in seine Seele schauen - wenn er überhaupt eine hat. Er ist jedoch der allerletzte Mann, den du versuchen solltest zu manipulieren«, beschwor sie ihn.
»Er wird aber die Lösung sein müssen, Mystere.«
Rillieux’ unheilschwangerer Ton ließ ihr einen beunruhigenden Schauder den Rücken hinunterlaufen. Und den kannte sie gut, er war immer der Auftakt zu Schwierigkeiten.
Früh am Freitagmorgen mietete Mystere sich ein kleines, jedoch recht sauberes Zimmer in der Centre Street Nr. 720, einer Gegend mit Häusern der verarmten Oberschicht, die fast alle in Appartements und Zimmer aufgeteilt worden
waren.
Sie benutzte den Namen Lydia Powell und erklärte, dass ihr Ehemann erst kürzlich bei der Explosion eines Dampfschiffes auf dem Hudson ums Leben gekommen war und sie daraufhin ihr Heim in Brooklyn verkauft hatte. Die Vermieterin schien zunächst Empfehlungsschreiben verlangen zu wollen; eine Monatsmiete im Voraus, das wohlhabende Erscheinungsbild und die guten Umgangsformen der jungen Witwe konnten sie jedoch umstimmen. Sie wurde sogar noch freundlicher, als sie erfuhr, dass Mystere ihr Essen nicht zusammen mit den anderen Pensionsgästen einnehmen wollte, dafür jedoch auch keinen Preisnachlass verlangte.
Mit dem Schlüssel sicher in ihrer Handtasche und der Pension einen Block hinter sich nahm sie schnell die unbequeme Haube mitsamt Schleier ab und steckte sie ein. Es war ein schwüler Tag, und außerdem hatte sie keine große Angst, nun erkannt zu werden.
Eine unerfreuliche Aufgabe blieb ihr noch. Paul war in letzter Zeit
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