Diener der Finsternis
von neuem. Sein Körper vibrierte heftig. Es kreischte sie höhnisch an. Mit unglaublicher Geschwindigkeit wurde der Hengst von seinem unsichtbaren Reiter auf die Lücke in der Schutzmauer zugelenkt. Das große Tier schlug aus, verstreute die geweihten Kerzen und die Alraunen und bäumte sich dann über ihnen auf. Sein riesiger dunkler Bauch schwebte über ihren Köpfen, seine enormen Hufe waren in die Luft erhoben, um ihnen die Köpfe einzuschlagen.
Eine entsetzliche Sekunde lang blieb der Hengst in dieser Stellung. Richard kauerte auf dem Boden, die Arme um die ohnmächtige Marie Lou geschlungen, und starrte nach oben. De Richleau stand, und der Schweiß lief ihm in Strömen über das Gesicht.
Das Ende schien gekommen zu sein. Da benutzte der Herzog das allerletzte Hilfsmittel, und tat etwas, das nie getan werden soll, wenn nicht die Seele selbst vor der Vernichtung steht. Mit klarer, scharfer Stimme sprach er die letzten beiden Verse des fürchterlichen Sussamma-Rituals.
Eine Sekunde lang spielte eine Schlinge aus Licht um den Leib des Pferdes. Sofort löste sich die Erscheinung in zischende Atome bunt schillernden Lichtes auf.
Jene geheimnisvolle und unergründliche Macht, der Herr des Lichts, das Zeitlose hatte geantwortet. Sie hatte, durch die mystischen Worte herbeigerufen, für einen Bruchteil irdischer Zeit ihre ewige Kontemplation des höchsten Glückes unterbrochen, um zur Rettung der vier verlöschenden Flämmchen, die in den bedrohten Menschen brannten, einzuschreiten.
In der Bibliothek herrschte absolute Stille. De Richleau konnte Richards Herz schlagen hören. Der Herzog wußte jedoch, daß sie durch die nur im äußersten Notfall anzuwendende Anrufung aus ihren Körpern gerissen und auf die fünfte Astralebene versetzt worden waren. Sein Verstand sagte ihm, daß eine Rückkehr unwahrscheinlich war. Die Substanz des Lichtes selbst zu beschwören, erfordert beinahe übermenschlichen Mut, denn Prana besitzt eine Macht, die über menschliches Begriffsvermögen weit hinausgeht.
Einen Augenblick lang kam es ihnen so vor, als schwebten sie über dem Raum und sahen darauf hinunter. Das Pentagramm war zu einem flammenden Stern geworden. In seiner Mitte lagen ihre Körper als dunkle Schatten. Der Friede und das Schweigen des Todes flutete über sie hin. Sie stiegen höher. Cardinals Folly wurde ein weit entfernter schwarzer Fleck. Dann verblaßte alles.
Es gab keine Zeit mehr. Für Tausende und Tausende von Jahren schwebten sie als glühende Funken in einer unermeßlichen Leere. Gefühle und Leidenschaften waren erstorben. Nach Äonen menschlicher Zeit sahen sie in unendlicher Ferne das Haus wieder und in ihm den dunklen Raum mit dem Pentagramm und ihren Körpern. Der Staub der Jahrhunderte lag auf ihnen und fiel und fiel … und deckte alles mit einer feinen grauen Schicht.
* * *
De Richleau hob den Kopf. Ihm schien, er habe eine weite Reise hinter sich und danach tagelang geschlafen. Er fuhr sich mit der Hand über die Augen und erkannte die vertrauten Bücherregale in der halbdunklen Bibliothek. Die Glühbirnen hinter der Wandleiste flackerten, und das Licht ging in voller Stärke an.
Marie Lou war wieder bei Bewußtsein und bemühte sich, auf die Knie zu kommen. Richard streichelte sie mit zitternden Händen und murmelte: »Wir sind in Sicherheit, Darling – in Sicherheit.«
Simons Augen waren frei von dem schrecklichen, wahnsinnigen Glanz. Der Herzog konnte sich nicht daran erinnern, ihm die Fesseln gelöst zu haben, aber er kniete neben ihnen und sah so normal aus wie zu Beginn der fürchterlichen, waffenlosen Schlacht.
»Ja, wir sind in Sicherheit – und mit Mocata ist es aus«, erklärte der Herzog. »Der Engel des Todes wurde heute nacht gegen uns ausgesandt, doch er bekam uns nicht, und er kehrt niemals mit leeren Händen in sein dunkles Königreich zurück. Mocata hat ihn gerufen, folglich hat er Mocata geholt.«
»Bist du dessen sicher?« fragte Simon.
»Natürlich. Das ist das von Anbeginn bestehende Gesetz der Wiedervergeltung. Mocata wird vor dem Morgen tot sein.«
»Aber – aber«, stammelte Simon. »Weißt du nicht, daß Mocata niemals etwas selbst tut? Er versetzt andere Menschen in eine hypnotische Trance und läßt sie seine Teufeleien ausführen. Einer der armen Kerle, die er in der Gewalt hat, wird für sein nächtliches Unternehmen bezahlen müssen.«
Noch während er sprach, ließen sich auf der Terrasse Laufschritte vernehmen. Ein schwerer Stiefel krachte
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