Diener der Finsternis
der Körper fest. Es war das monströse Tier, das auf der Salisbury-Ebene Hof gehalten hatte, der Bock von Mendes. Er schielte sie mit seinen roten Augen an. Seinen Nüstern entströmte Verwesungsgestank.
Mocata erhob den Talisman und legte ihn auf die Stirn des Bocks. Dort glühte er wie ein Juwel mit einem seltsamen schwarzen Kern. Mocata bückte sich, ergriff das Kind, riß ihm die Kleider ab und legte es neben den Hufen des Ungeheuers auf den Altar.
Die Gefangenen in dem magischen Kreis waren krank vor Entsetzen. Sie hörten, wie der Zauberer die abscheulichen Worte der schwarzen Messe zu intonieren begann.
Machtlos folgten sie mit ihren Augen dem schwingenden Weihrauchgefäß, vernahmen sie die blasphemischen Gebete, wurden sie Zeuge der Segnung des Dolches durch den Bock. Sie wußten, das Ende der grauenvollen Zeremonie würde darin bestehen, daß der Teufelspriester, dieser perverse Wahnsinnige, den Leib des Kindes aufschlitzte und seine Seele der Hölle anbot.
Halb verrückt vor Angst sahen sie, wie Mocata den Dolch erhob und seinen Arm über den kleinen Körper streckte.
XXXII
Rex strömte der Schweiß über das Gesicht. Die Muskeln seiner Arme zuckten konvulsivisch. Seine ganze Willenskraft war darauf konzentriert, die Stufen hinaufzustürzen. Aber abgesehen von dem Zittern, das seinen Körper durchlief, blieb er bewegungslos im Griff einer unsichtbaren Kraft.
De Richleau betete. Er wußte, wie vergeblich eine körperliche Anstrengung war, und er zweifelte, ob seine Bitten gegen eine so schreckliche Manifestation des Bösen wie den Bock von Mendes ankommen konnten.
Richard kauerte neben dem Herzog. Sein Gesicht war weiß und blutleer, seine Augen flammten. Er hielt die Arme ausgestreckt, als wolle er Fleur wegreißen oder um Gnade bitten, aber er konnte sie nicht bewegen.
Marie Lou hatte eine Hand auf seine Schulter gestützt. Sie war jenseits aller Furcht, jenseits aller Gedanken an das fürchterliche Ende, das sie in wenigen Augenblicken ereilen mußte. Sie betete nicht, und sie versuchte nicht, ihr Kind zu erreichen. Das Schlagen ihres Herzens schien ausgesetzt zu haben. Ihr Verstand arbeitete mit der überwältigenden Klarheit, die nur in der größten Gefahr auftritt. Vor sich sah sie das scharfe Bild ihrer selbst, wie sie im Traum das Buch gelesen hatte, von dem de Richleau sagte, es sei das Rote Buch von Appin. Ihre Finger fühlten erneut den weichen Pelzeinband.
Simon sank zwischen dem Herzog und Rex auf die Knie. Er wollte sich nach vorn werfen, aber er konnte nur von Seite zu Seite schwanken. Elend und Reue versetzten ihn in einen Zustand der Agonie. Seine Torheit war an allem schuld. Er tat das einzige, was noch übrigblieb. In vollem Bewußtsein der Ungeheuerlichkeit bot er sich schweigend den Mächten der Finsternis an, wenn sie auf Fleur verzichteten.
Mocata hielt für einen Moment inne. Das Messer in der Hand, drehte er sich um und sah Simon an. Die Schwingungen seiner Gedanken waren so stark gewesen, daß sie den Teufelspriester erreicht hatten. Doch dieser hatte bereits alles, was er brauchte, aus Simon herausgezogen. Mocatas bleiche Lippen verzogen sich langsam zu einem grausamen Lächeln. Er schüttelte verneinend den Kopf und hob erneut den Dolch.
Die Hand des Herzogs fuhr hoch, um durch das Zeichen des Kreuzes den Streich aufzuhalten. Wie durch eine mächtige physische Kraft wurde sie von den Strahlen des Talismans festgehalten.
Richards Mund öffnete sich zu einem Schrei, aber er brachte keinen Laut hervor.
Vor Marie Lous geistigem Auge lag das Rote Buch von Appin offen da. Wie in ihrem Traum las und verstand sie den einen Satz: »Nur denen, die ohne Begehren lieben, wird in der dunkelsten Stunde Macht verliehen.«
Ihre Lippen öffneten sich. Ohne zu wissen, was es bedeutete, sprach sie ein seltsames Wort aus – ein Wort mit fünf Silben.
Die Wirkung erfolgte augenblicklich. Der unterirdische Raum wurde wie von einem Erdbeben erschüttert. Die Wände wichen zurück, der Fußboden kreiselte. Die Freunde mußten sich aneinander festhalten, um nicht zu fallen. Die Altarkerzen flackerten und tanzten. Der Talisman des Seth fiel vom Kopf des monströsen Bocks, sprang die Stufen hinunter und blieb auf den Steinen vor de Richleaus Füßen liegen.
Mocata taumelte zurück. Über ihm erhob sich der Bock auf seine Hinterfüße. Er ließ ein furchterregendes Meckern ertönen. Die tückischen Augen rollten in ihren Höhlen. Das Tier wuchs und wuchs, sein Gestank wurde
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