Diese Nacht darf niemals enden
der Lage gewesen, es fertigzustellen. Sie wusste, weshalb sich die Blockade gelöst hatte, und sie verabscheute sich dafür.
Sie hatte es nur vollenden können, weil sie noch ein zweites Bild gemalt hatte. Das eingepackte Portrait war Teil eines Paars. Sein Gegenstück stand, ebenfalls vollendet, auf der Staffelei.
Wie gefesselt lag Guys Blick auf diesem Bild. Tief in seinen Augen flackerte etwas auf, etwas Düsteres und Gequältes.
„Das da behalte ich.“
Ihre Stimme klang völlig emotionslos. Die Emotionen jedoch waren deutlich auf der Leinwand zu sehen. Verewigt im dämonisch verzerrten Gesicht des Mannes, den sie einst geliebt hatte und jetzt nur noch verabscheute.
„Es wird mich immer an dich erinnern“, sagte sie.
Eine Sekunde nur schwenkte sein Blick zu ihrem Gesicht. Dann nahm er ihr das Paket ab, das andere Bildnis mit dem Gesicht, das Guy de Rochemont der Welt zeigte – und den Frauen, die er in sein Bett holte.
Bevor er ging, deutete er eine knappe Verbeugung an. „Ich werde dich nicht mehr belästigen, Alexa.“ Weder in seiner Stimme noch in seinen Augen lag eine Regung. Er drehte sich um und ging, hinaus aus dem Cottage und hinaus aus ihrem Leben. Alexa blieb allein zurück in der Gesellschaft seines düsteren Konterfeis.
Die Landstraße nach London zurück zog sich endlos dahin. Zu beiden Seiten rauschte die Winterlandschaft vorbei. Grau, trostlos, öde.
Genau wie das Leben, das vor ihm lag.
Für eine kurze Weile hatte Guy die Hoffnung vor Augen gehabt, hatte sie in Reichweite gesehen, hatte die Hände nach ihr ausgestreckt …
All das war ein Trugbild gewesen, zerstört innerhalb von Sekundenbruchteilen. Ein Blick auf die Leinwand auf der Staffelei hatte ausgereicht.
Er fühlte sich, als hätte ihm jemand einen Spiegel vorgehalten. In diesen wenigen Augenblicken war ihm klar geworden, dass Alexa für ihn verloren war. Sie würde nie wieder in sein Leben zurückkehren. Das Bildnis auf der Staffelei hatte es ihm überdeutlich gesagt.
Die hohe Geschwindigkeit sollte ihn schnellstens von ihr wegbringen. Er konnte nichts anderes mehr tun, als den Weg zu gehen, der ihm vorbestimmt war. Er würde Louisa heiraten und für das Mädchen tun, was ihm möglich war.
Was sonst blieb ihm noch? Ohne Alexa – nichts.
9. KAPITEL
Der Frühling zog ins Land. Die Tage wurden wieder länger, das erste zarte Grün wagte sich aus der Erde und zeigte sich an Büschen und Sträuchern. Die kahlen Äste und Zweige der Bäume setzten Knospen an. Das Leben kehrte zurück.
Alexa kam nach London, aber nur für einen Zwischenstopp. Mit neu gepackten Koffern machte sie sich auf den Weg zum Flughafen. Sie hatte eine Wüstensafari gebucht – ganz bewusst eine kräftezehrende: im Jeep durchgerüttelt über die Dünen, die kalten Nächte im Schlafsack unter dem sternenklaren Himmelszelt und am Tag der heißen Sonne ausgesetzt.
Die gleißende Sonne ließ den Horizont verschwimmen, sodass die Gruppe kein Bewusstsein dafür hatte, ob sie überhaupt weiterkam. Doch mit jedem Tag rückten sie ihrem Ziel ein Stück näher. Mit jedem Tag rückten sie weiter weg von ihrem Ausgangspunkt. Und dann erreichten sie sie, die Ruinen einer alten Stadt, einst voller Menschen – Menschen mit Plänen, Träumen und Hoffnungen, mit ihren Fehlschlägen und Verlusten. Jetzt fegte nur noch der Wüstenwind über zerbröckelnde Mauern und leere Gassen.
Alexa blieb stehen und ließ den Blick über die Ruinen wandern. Zeilen eines Gedichts von Matthew Arnold kamen ihr in den Sinn.
… Denn dieser Weltenraum … hat wirklich weder Freud noch Lieb … noch Sicherheit noch Ruh’ noch Schmerzerlass …
Nein, es gab keine Ruhe, keine Linderung für den Schmerz. Sie wünschte, sie hätte nicht an die schmerzhafteste Zeile gedacht:
… Drum lass, mein Lieb, uns beide treu zusammenstehen …
Sie beneidete den Poeten und seine Liebe. Ihr Blick schweifte in die endlose Weite der Wüste hinaus. Sie stand hier, allein, eingeschlossen in ihrer Isolation, erfüllt von stiller Verzweiflung.
So konnte es nicht weitergehen. Wenn sie so weitermachte, würde es sie zerstören. Irgendwie musste sie die Kraft finden, um darüber hinwegzukommen.
Darum fuhr sie am Ende der Safari nicht mit den anderen zurück zum Flughafen, sondern fand eine kleine Pension, schlicht, aber sauber, und mietete für eine Weile ein Zimmer. Jeden Tag nahm sie Farben, Pinsel, Zeichenblock und Stifte und ging aus, den Körper züchtig verhüllt, um keine Aufmerksamkeit zu
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