Diese Nacht darf niemals enden
erregen, ein Tuch um den Kopf zum Schutz vor der Sonne und den Blicken der Männer. Die Ansässigen hielten sie wohl für seltsam, ließen sie aber in Ruhe. Dafür war sie dankbar.
Jeden Tag arbeitete sie, zeichnete und malte die weite Leere der Wüste, und mit jedem Tag brannte die erbarmungslose Hitze etwas von dem Schmerz fort, bis sie ihn nicht mehr spürte.
War er verschwunden? Sie wusste es nicht zu sagen. Aber sie wusste mit tiefer Sicherheit, dass ihre Arbeit gut war. Spröde, minimalistisch, streng, aber gut.
Erst jetzt packte sie die Koffer und ihre Arbeit zusammen und flog zurück nach Hause. Der sechsmonatige Mietvertrag war abgelaufen, die Mieter ausgezogen. Alexa kehrte mit einem unguten Gefühl nach London zurück. Sie hatte Angst, dass die Stadt sie in den Strudel der Erinnerungen zurückziehen würde. Ihr war klar, dass sie ihr früheres Leben nicht wieder aufnehmen konnte. Sie würde die Wohnung verkaufen, aus der Stadt wegziehen und sich woanders eine neue Zukunft mit ihrer Arbeit aufbauen.
Es kostete sie Überwindung, das Apartment zu betreten. Nur mit Mühe drängte sie die Erinnerungen zurück, aber sie hielt sie im Zaum. Ohne auszupacken, stellte sie Koffer und die Mappe mit den Wüstenbildern im Schlafzimmer ab und nahm eine Dusche, um sich den Reisestaub nach dem langen Flug abzuwaschen. Danach zog sie sich an, schlang ihr Haar zu einem adretten Chignon, griff nach ihrer Handtasche und ging wieder nach unten. Sie musste einkaufen, um den leeren Kühlschrank aufzufüllen. Unterwegs würde sie sich verschiedene Maklerbüros ansehen – andere als das, das Guy aufgekauft hatte – und ihre Wohnung auf dem Immobilienmarkt listen lassen. Am Abend würde sie einen Kassensturz machen, um ein Bild über ihre Finanzen zu erhalten. Irgendwann würde sie sich auch bei Imogen melden, aber erst, wenn sie eine genauere Vorstellung von ihren Zukunftsplänen hatte.
Vollauf vertieft in ihre Überlegungen trat Alexa aus dem Haus und stieg die Außenstufen hinab.
„Miss Harcourt?“
Ein Wagen hielt am Bürgersteig, und ein Mann stieg aus. Beide, Wagen und Mann, wirkten völlig unauffällig.
Verwirrt schaute Alexa auf. „Ja?“
„Ich arbeite für eine Sicherheitsfirma.“ Der Mann reichte ihr eine Visitenkarte. Eine Firma der gehobenen Klasse, Alexa hatte den Namen schon gehört. „Meine Klientin bittet Sie um ein Treffen.“
Plötzlich schrillten Alarmsirenen in ihrem Kopf. „Welche Klientin?“
„Madame de Rochemont“, antwortete der Mann.
Alexa erstarrte. Madame de Rochemont. Guys Frau.
Trotz des linden Nachmittags überlief sie ein Schauer. Sie riss sich zusammen und unterdrückte ihn. Sie hatte nicht all die Zeit daran gearbeitet, die Vergangenheit zu bewältigen, nur um bei der ersten Gelegenheit in das gleiche Muster zurückzufallen.
Er hat eine Ehefrau. Es ist vorbei.
Guy war verheiratet, mit dem armen Mädchen, das die Antithese der strahlenden Braut gewesen war. Louisa von Lorenz hatte gewusst, welchen Mann sie bekam.
Einen betrügerischen, untreuen Mann.
Aber was, um alles in der Welt, wollte sie jetzt von ihr? Wie hatte sie überhaupt von ihr erfahren? Und wie hatte sie wissen können, dass Alexa ausgerechnet heute, in diesem Moment, aus dem Haus treten würde?
„Wie hat Madame de Rochemont erfahren, wo ich mich aufhalte?“, fragte sie frostig.
Weder Frage noch Ton schienen den Mann zu irritieren. Vermutlich war man in seinem Beruf daran gewöhnt. „Seit Ihre Mieter ausgezogen sind, steht Ihre Wohnung unter ständiger Beobachtung – davon ausgehend, dass Sie bald wieder zurückkehren würden.“
Natürlich. Guy hatte die Agentur ja aufgekauft. Und in den sphärischen Höhen, in denen er sich bewegte, war es wohl nicht außergewöhnlich, einen Mann dafür zu bezahlen, dass er wartete, bis sie auftauchte.
Wie Guys Frau sie gefunden hatte, war unwichtig. Nur … warum wollte Louisa de Rochemont sie treffen?
Die Erkenntnis ließ ihr das Mark gefrieren.
Befürchtet sie etwa, ich würde die Beziehung zu Guy wiederaufnehmen, jetzt, da ich in London zurück bin?
Hatte das arme Mädchen von der Frau erfahren, mit der ihr Mann vor der Hochzeit zusammen gewesen war? Dann würde sie auch wissen, dass sie sich auf jener Gala im Waschraum getroffen und unterhalten hatten.
Sie wird denken, dass ich die ganze Zeit über gewusst habe, wer sie ist …
Alexa sah dem Mann offen in die Augen. „Wo ist Ihre Klientin?“
„Madame de Rochemont hält sich im Moment in London auf, Miss
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