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Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)

Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)

Titel: Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lionel Shriver
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Fleecejacken und Strickjacken, und auf dem Bett lagen verschieden dicke Decken ineinander verdreht. Nest war das richige Wort.
    Ohne zu fragen, schaltete Flicka den Fernseher aus. Sie hatte das Herrische eines Kindes, dem Erwachsene ständig alles recht zu machen versuchen. »Schon besser.«
    »Fernsehen schafft die Illusion von Aktivität.«
    »Quatsch, damit hab ich im Krankenhaus rumexperimentiert. Das gibt so ’ne eklige Atmosphäre, wenn man den ganzen Tag den Fernseher an hat. Stille ist besser. Da fühlt man sich nicht so schmutzig.« Indem sie halb absichtlich das Gleichgewicht verlor, ließ sich Flicka in den Sitzsack fallen, aus dem sie vermutlich schlecht wieder hochkommen würde. »Und? Hast du’s allmählich satt? Mit den Leuten reden, ohne irgendwas zu erzählen zu haben?«
    »Ich mag es nicht, wenn die Leute herkommen und erwarten, dass ich sie unterhalte.«
    »Aber wenn sie dir von den geilen Sachen erzählen, die sie gerade so machen, wirst du sauer.«
    Glynis zuckte mit den Achseln. »Ich weiß auch nicht, was ich will. Insofern kann mir keiner eine Freude machen – von dir abgesehen.«
    »Natürlich«, sagte Flicka beiläufig. »Elend verbindet.«
    »Weißt du, vor ein paar Tagen hatte ich abends eine … Episode.«
    »Dann hast du ja doch was zu erzählen.«
    »Geht so. Ich hab noch mit niemandem sonst darüber geredet. An diesem Abend hatte mir Shepherd – entschuldige, so was erzählt man eigentlich nicht – einen Einlauf gemacht.«
    »Schon okay. Mama muss mir dauernd Einläufe machen. Bei FD ist Verstopfung das Normalste der Welt. Ich würde lieber drauf verzichten, überhaupt was zu verdauen, aber diese Lösung kommt bei mir zu Hause nicht so gut an.«
    »Na ja, bei Shepherd … ich bin mir nicht sicher, ob sich Menschen so nahe kommen sollen.«
    »Aber ihr seid doch verheiratet. Du musst es doch gewohnt sein, dass er dir seinen Finger irgendwo reinsteckt. Wo ist da der Unterschied?«
    Glynis’ Lachen verkam zu einem Husten. »Sex ist ein bisschen was anderes als ein Einlauf.«
    »Das werde ich wohl kaum noch erleben.«
    »Das kann man nie wissen. Gibt’s denn nicht irgendwelche Jungen, die du nett findest?«
    »Letztes Jahr gab’s einen, der mich zu ’ner Abschlussparty in der Schule eingeladen hat. Aber er wollte wohl nur die anderen mit seinem Gutmenschentum beeindrucken. Bei seinen Eltern und Lehrern Punkte sammeln für seinen Großmut. Du glaubst ja gar nicht, wie der geguckt hat, als ich abgelehnt hab. Total geil. Ich hab keine Lust, anderen Leute die Lebensläufe zu veredeln.« Seit gut einem Jahr war Flicka nicht mehr nur sarkastisch, sondern regelrecht dreist geworden. »Aber zurück zu deiner Geschichte.«
    »Tja, mit dem Einlauf hat’s nicht so richtig geklappt, und … also, ich hatte schlimme Verstopfung. Die Scheiße war trocken. Fast wie Erde. Er musste sie … richtig rausgraben. Ich hab mir alle Mühe gegeben, mich nicht zu schämen, aber wenn man so überm Badewannenrand hängt, den Hintern in der Luft – na ja, man schämt sich trotzdem. Mein Mann fand mich immer schön. Wenn er mich heutzutage berührt, hat er Scheiße an den Fingern. Er ist wirklich lieb dabei, zärtlich und sachlich zugleich, aber trotzdem. Das spielte halt mit rein. Einfach grundsätzlich angewidert zu sein, von mir selbst, dass es so weit mit mir gekommen war.«
    »Das war aber noch nicht die ›Episode‹.«
    »Nein, die kam später. Drei Uhr morgens. Ich konnte nicht schlafen. Wir sind aufgestanden, aber ich wollte nicht auf sein. Ich wollte nicht – ich wollte überhaupt nicht da sein. Ich wollte einfach nicht mehr sein. Nach dem Einlauf habe ich bestimmt eine Stunde unter der Dusche gestanden, weil alles so gejuckt hat, aber der Ausschlag an den Schienbeinen war schon wieder wahnsinnig schlimm. Ich hatte Geschwüre im Mund und konnte kaum reden oder schlucken, nicht mal lächeln – nicht dass ich Grund dazu gehabt hätte. Ich war geschwächt und erschöpft, und mit dem ganzen Wasser in der Lunge … Das ist, als würde man keine Luft bekommen, als würde man ertrinken …«
    »Wem sagst du das. Meine Narben von der Lungenentzündung werden immer schlimmer, und die gehen nicht mehr weg.«
    »Ich … ich wollte nur noch raus. Ich wollte so dringend raus, dass ich dachte, ich werde verrückt. Ich hatte wohl so eine Art Nervenzusammenbruch. Ich habe mich gefangen gefühlt. Es war genau wie damals, da war ich zwölf, und meine Schwestern hatten sich gegen mich verbündet. Es ging um

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