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Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)

Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)

Titel: Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lionel Shriver
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noch immer ausmachen konnte; Shepherds tiefes Brummen verschwamm nicht selten mit dem Surren eines fernen Rasenmähers.
    »Okay. Aber nur, weil du’s bist.« Glynis ergriff das Geländer und zog sich hoch. »Müssen die anderen ohne mich lernen, wie man Eiersalat mit Curry macht.«
    »Igitt.«
    »Gibt’s irgendetwas, das dir schmeckt?«
    »Eis.« Flicka schleppte sich hinter Glynis hinauf, und auf der vierten Treppenstufe schon außer Atem, warf sie einen raschen Blick zu ihrer Mutter hinunter und murmelte: »Soll ich eigentlich nicht essen, aber manchmal klau ich mir was von Heather, wenn Mama nicht guckt.«
    »Ich denke immer, ich will irgendetwas. Aber dann merke ich, dass ich es doch nicht will.« Sie waren noch nicht mal auf halbem Wege oben, da ließ sich Glynis auf eine Stufe sinken. »Lass uns hier Pause machen, ja?«
    Carol, die den beiden Krüppeln von der Diele aus zugesehen hatte, rief: »Ich lass euch beide mal machen, okay? Kümmere dich nicht um mich, Glynis, ich kann solange Zeitung lesen.«
    »Wenigstens einer«, sagte Glynis und war froh, dass Carol nicht mit hochkommen wollte. Flicka fand ihre Mutter erdrückend und war in ihrer Gegenwart oft verschlossen und missmutig.
    »Zumindest haben wir endlich eine PEG-Sonde gefunden, die wir zu Hause auswechseln können«, krächzte Flicka, nachdem sie ebenfalls auf einer Treppenstufe zusammengebrochen war. »Also muss ich jetzt nicht jedes Mal ins verdammte Krankenhaus, wenn sie kaputtgeht. Papa hat recht, in diesem bescheuerten Land wird nichts produziert, was länger als eine Woche hält.«
    »Aber geht dir das nicht so, dass du dich im Krankenhaus irgendwie schon wie zu Hause fühlst?«
    »Ein bisschen schon. Man gewöhnt sich eben dran, wie alles läuft. Wer von den Schwestern einem zum Beispiel die Nadel in den Arm jagt wie mit ’nem Locher. Ich spür ja nichts, aber wenn sie mir auf der Suche nach ’ner Vene ’ne halbe Stunde lang in den Arm stechen, wird’s irgendwann unglaublich langweilig. Sag mal, hast du eigentlich immer noch Angst davor? Vor den Spritzen?«
    »Schreckliche Angst. Shepherd hat ja gedacht, die Phobie würde weggehen, aber wenn überhaupt, ist sie schlimmer geworden. Nach jeder Chemo muss er mir fünf Spritzen geben, um mein weißes Blutbild anzukurbeln. Ich weiß nicht, wie er das aushält. Ich kann diese Spritzen nicht mal ansehen. Ich bitte ihn, die Dinger hinter meinem Rücken vorzubereiten, und davor muss ich Lorezepam nehmen. Oder ›Marzipan‹, wie wir hier gerne sagen. Das erste Mal, also bevor ich wusste, dass ich vorher Marzipan nehmen kann, bin ich umgekippt. Ich bin so ein Weichei.«
    »Dann hast du dir die falsche Krankheit ausgesucht. Hättest was nehmen sollen, wo sie einfach die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Irgendwas Unheilbares.«
    »Mesotheliom ist unheilbar«, sagte Glynis leise. Das hatte sie so noch nie laut ausgesprochen.
    Flicka wirkte verlegen. »Sorry. Ich meinte eigentlich ›nicht behandelbar‹.«
    »Ist mir egal, wie du dazu sagst. Du musst mich nicht mit Samthandschuhen anfassen.« Sie hatten wieder die Treppe in Angriff genommen: einen Fuß hoch, den anderen Fuß dazu, Pause.
    »Hängt’s dir nicht zum Hals raus?«, fragte Flicka. »Diese Vorsicht. Dieses ganze huh, bloß nichts sagen, worüber Flicka sich ›aufregen‹ könnte! Bloß nichts Unsensibles zu Glynis sagen! Man wird doch behandelt wie ’n Spasti.«
    »Ich glaube, Spasti darf man heutzutage nicht mehr sagen.«
    »Für uns gilt das nicht. Wir dürfen alles sagen«, sagte Flicka und lächelte verschlagen, »alles, was wir wollen.«
    »Ehrlich gesagt, mich stört das manchmal schon. Um Thanksgiving herum habe ich mich mit Shepherd richtig gestritten. Es ging darum, dass ich mir bei ihm wirklich alles erlauben kann. Das ist unmenschlich. Man wird bevormundet.«
    »Stimmt … Mama gibt sich zwar alle Mühe, aber ab und zu wird sie dann doch wütend auf mich, und irgendwie find ich das gut. Dann ist sie wie ’ne ganz normale Mutter. Nicht wie irgend ’ne verdammte Heilige.«
    In ihrem Schlafzimmeruniversum legte sich Glynis in das breite Doppelbett und arrangierte ihre fünf Kopfkissen, während sich Flicka die Fernbedienung von der Matratze schnappte. »Hier sieht’s wild aus, entschuldige«, sagte Glynis. Wie immer war das Zimmer übersät mit Arzneifläschchen, benutzten Gläsern und dem erstarrten Frühstück, das Shepherd ihr heute Morgen überflüssigerweise ans Bett gebracht hatte. Auf den Stühlen knäulten sich

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