Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)
gleiche fahle Gelb wie die kränkliche Nachmittagssonne. Bei allem Elend hatte er bislang immer einen Moment gefunden, um das Silber zu polieren. Schlimmer noch, das gleichmäßige, beschwingte Tröpfeln, das den akustischen Hintergrund zu manch einem Feierabenddrink gebildet hatte, war versiegt. Mindestens seit einer Woche musste er vergessen haben, das Wasser nachzugießen.
In der Küche ließ Shep einen Krug mit Wasser volllaufen. Als er zurückkam, um das Becken aufzufüllen, saß das Wasser still im Becken. Da der Brunnen versiegt war, hatte sich vorhersehbarerweise die Pumpe heißgelaufen und den Geist aufgegeben. Das geschah nicht zum ersten Mal, und die bevorstehende kleine Reparatur war kein Grund zur Besorgnis. Dennoch kam es ihm vor wie ein Omen.
Es war eindeutig nicht der richtige Moment, aber er musste sich zusammenreißen, um den Brunnen nicht sofort zu reparieren; im Keller lagen ein paar Ersatzpumpen. Reparaturen waren das, womit er sich beschäftigte. Er verdiente sein Geld mit Reparaturen, zumindest hatte er das bis heute Vormittag noch getan. Er starrte in das stille Wasser, und der Stress, diese kleine Fehlfunktion nicht sofort zu beheben, spiegelte den größeren Stress des letzten Jahres wider: Er konnte die Dinge nicht reparieren.
Er ließ den Krug auf dem Boden stehen, rutschte behutsam neben seiner Frau aufs Sofa und nahm ihre Hand. »Ich bin nicht sicher, ob du das Datum noch im Kopf hast. Weißt du noch, dass du morgen früh deine Aussage wegen Forge Craft machen musst?«
Sie atmete rasselnd ein und hustete. »Ich weiß es noch.«
»Ich mache mir Sorgen, dass du’s vielleicht nicht schaffst.«
»Na ja, das Timing könnte besser sein. Das Fieber ist zwar überstanden, die Infektion ist aber immer noch … Also, ich denke, wir könnten’s noch mal …«
»Ich weiß, wir könnten den Termin verschieben, aber auch das macht mir Sorgen. Wir haben diesen Termin jetzt schon mehrmals verschoben. Langsam wird’s peinlich, und zu viele Verzögerungen könnten im Prozess gegen uns verwendet werden. Du weißt ja, dass ich nie ein großer Freund dieses Unterfangens war. Aber es ergibt keinen Sinn, diese Sache zu verfolgen, wenn wir verlieren. Ich wünschte, du hättest das alles hinter dich gebracht, als du noch die Kraft hattest. Es geht ja nicht nur darum, auf Video ein Statement abzugeben. Die Anwälte von Forge Craft werden da sein. Rick hat mich vorgewarnt, dass so was Stunden dauern kann, und das Kreuzverhör kann zermürbend sein. Aber ich werde jetzt nicht noch mal um einen neuen Termin bitten. Entweder ziehst du’s morgen durch, oder wir ziehen die Klage zurück.«
»Ich will die Klage nicht zurückziehen«, sagte sie beleidigt. »Irgendjemand muss büßen.«
»Dann musst du morgen aussagen.«
»Ich fühle mich schrecklich, Shepherd! Warum kannst du’s nicht noch mal verschieben? Wenigstens bis nächste Woche, bis dahin bin ich sicher –«
»Nein.« Es war ein seltsam belebendes Gefühl, das Heft in der Hand zu haben. Seit Monaten hatte sie von ihrem Mann keine Widerworte geduldet. »Wenn es dir so am Herzen liegt, dass jemand ›büßt‹, dann versteh ich nicht, warum du es immer weiter vor dir herschiebst. Bring die Aussage hinter dich. Morgen. Sonst sagen wir die ganze Sache ab.«
Glynis hatte sich aufgerichtet, die Handflächen auf den Oberschenkeln, die Augen geschlossen, und der Turban gab ihr lustigerweise etwas von einem Swami. In dieser gelassenen Haltung strahlte sie fast etwas Meditatives aus, wenn sie nicht angefangen hätte zu zittern. Als er ihre Hand berührte, bebte sie wie eine elektrische Zahnbürste.
»Glynis?«, sagte er sanft. »Wovor hast du Angst? Ich bin doch bei dir, und wir können jede Menge Pausen machen.«
Tief aus ihrem Zwerchfell kam ein Laut und drang hinauf in ihre Kehle, und sie versuchte, ihn wieder hinunterzuschlucken. Immer wieder durchfuhr sie ein Zittern, als würde ihr jemand mit einem Vorschlaghammer gegen die Brust schlagen.
»Gnu, was ist los? Wenn’s dir zu viel Stress ist, dann ziehen wir einfach die Klage zurück –«
Es war ein seismisches Beben, von dem sie erschüttert wurde, doch der einsame Vokal, der aus ihrem Mund entwich, glich eher einem ängstlichen Eh .
»Ist ja gut.« Er streichelte ihr die Hand. »Ganz ruhig, wir können auch noch später drüber reden.«
»Es ist …«, sagte sie jetzt deutlicher und rang um die Worte, sie rang in der Kehle mit ihnen, als wollten sie das Kommando übernehmen.
»Tief
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