Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)
fahren. Sie musste wegen jeder Schüssel und jedes Löffels nachfragen, und wie der Ofen funktioniert, und dann hat sie den Springbrunnen über der Spüle demoliert. Sie kann nicht mit einem Handmixer umgehen, und überall klebte Teig – auf den Küchengeräten, auf dem Boden, an den Wänden. Und das alles, weil sie sich nützlich machen will.«
»Mama will nützlich erscheinen «, sagte Deb. »Sie will Anerkennung. Schon gemerkt, dass sie nur abwäscht, wenn Shep in der Küche ist? Wenn er im Büro ist, dürfen wir spülen.«
»Wenn sie eurer Schwester wirklich eine Freude machen wollte«, sagte Shep, »würde sie ihr aus der Steinesammlung eures Vaters ein paar Exemplare mitbringen. Auf die ist Glynis schon seit Langem scharf. Sie hatte immer gehofft, irgendwann mal was daraus schmieden zu können.«
»Wie soll denn das jetzt gehen?«, fragte Ruby leise.
Shep schob seinen Milchkaffee von sich. »Erst kommt die Chemo … wir wissen es nicht. Vielleicht schlägt sie ja an. Warum würde die Therapie sonst überhaupt gemacht werden?«
Das leuchtete ein.
DIE GRUPPE STAPFTE zurück in Richtung Klinik. Vor der Ampel fragte Deb, ob sie zu Hause in Elmsford an Sheps Computer dürfe. Sie war Mitglied in einer landesweiten Bibelgruppe, die eine Online-Totenwache für Terri Schiavo abhielt – die sich ohne Beatmungsmaschine soeben noch am Leben hielt. »Die haben einfach den Stecker rausgezogen, wie bei einem Toaster!«, sagte Deb verzweifelt.
»Dieser Plan, den du immer hattest«, sagte Ruby, die neben Shep herging, »ins Ausland zu ziehen … den musst du dann wohl jetzt auf Eis legen.«
»Na ja, deine Familie fand die Idee ja von Anfang an hirnrissig«, sagte Shep.
»Vermutlich haben wir sie nie so richtig verstanden«, sagte Ruby vorsichtig.
»Ich hab nicht gesagt, ihr habt sie nicht verstanden. Ich hab gesagt, ihr fandet sie hirnrissig .«
»Exzentrisch vielleicht. Obwohl, diese Vorstellung, dass es irgendein Land gibt oder die perfekte Ehe oder endlich eine Schwangerschaft, irgendwas, das eine Antwort liefert … ich sehe schon den Reiz, aber ich bin mir nicht sicher, ob es überhaupt eine Antwort gibt. Letzten Monat habe ich Tschechows Drei Schwestern gesehen. Diese Frauen in der tiefsten Provinz, die sich grämen: Oh, wenn sie doch nur in Moskau wären. Und das Publikum weiß ganz genau, dass sich in Moskau für sie überhaupt nichts ändern würde. Also sind sie irgendwie auch froh, nicht zu fahren. Vielleicht ist es bei dir genauso. Du darfst die Illusion behalten, dass es irgendwo eine Lösung gibt, eine Zuflucht.«
»Im Grunde ist ja die Klinik so ein Land, in dem alles anders ist«, bemerkte Shep liebenswürdig, während sie durch die Schwingtüren traten. »Wisst ihr, dass man in manchen Wirtschaftsnationen einen ganzen Monat von dem leben kann, was man im Westen für eine Schachtel Büroklammern zahlt? Im Krankenhaus ist es umgekehrt: Man muss einen Monat arbeiten, um sich hier eine Schachtel Büroklammern leisten zu können.«
Shep war Jackson im Café zuvorgekommen und hatte die Runde bezahlt, und auch wenn die Summe gering war, stand die Geste symbolisch dafür, dass alle Rechnungen zu Shepherd Armstrong Knacker führten wie einst alle Wege nach Rom. Jackson wusste sicher, dass Shep seiner Schwiegermutter die Reise finanziert hatte, da Hetty als Lehrerin eine ziemlich magere Rente bezog und eine Frau ihres Alters es mit einer Tochter, die sie möglicherweise überleben würde, ohnehin schon »schwer genug« hatte. Auch Deb hatte er den Flug bezahlt. Als wiedergeborene Christin unterrichtete sie ihre vielen Kinder zu Hause, und ihr Mann arbeitete Vollzeit bei Raytheon Missile Systems – war das etwa christlich? –, weshalb sie also jemanden bezahlen musste, der auf die Kinder aufpasste, während sie an der Ostküste war; das Flugticket war »das Mindeste«, was er habe tun können. Seit die ganze Bande im Haus war, konnte man darauf wetten, dass er für Lebensmittel, Benzin und den Alkohol aufkommen musste, den die Leute bei solchen Anlässen ja wie Limo in sich hineinzuschütten pflegten. Sobald Glynis nach Hause kam, hatte er vor, die Verwandtschaft ins Hotel zu verfrachten (nachdem er die Krankenbesuche der Familie belauscht hatte, wusste Jackson inzwischen auch, warum). Da er mit Glynis alle Hände voll zu tun hatte, war Shep nicht in der Lage gewesen, Beryl zu helfen, ihren Kram aus der spottbilligen Wohnung in der West 19th Street zu schleppen, also hatte er ihr stattdessen die
Weitere Kostenlose Bücher