Diesseits vom Paradies
zu Gesicht bekam. Was zunächst als melancholische Episode erschienen war, erwies sich nun lediglich als schale Enttäuschung. Um halb neun war er fertig angezogen und setzte sich ans Fenster; er merkte, dass ihm das Herz doch schwerer war, als er geglaubt hatte. Welche Ironie lag in dem heiteren, sonnigen Morgen, der ihn mit seinen aus dem Garten aufsteigenden Düften zu verspotten schien! Er hörte Mrs. Borgés Stimme unten auf der Glasveranda und fragte sich, wo Isabelle wohl sei.
Es klopfte an die Tür.
»Der Wagen wird um zehn vor neun bereitstehen, Sir.«
Er kehrte zu seiner Betrachtung der Szenerie draußen zurück und sprach dabei mechanisch, wieder und wieder, einen Vers von Browning vor sich hin, den er einst in einem Brief an Isabelle zitiert hatte:
Jedes Leben unerfüllt, siehst du,
Schwebt still, ist Flickwerk, Bruchstück;
Wir haben nicht tief geseufzt, nicht frei gelacht,
Gehungert, geschwelgt, verzagt – kein Glück gekannt.
[142] Doch sein Leben würde nicht unerfüllt sein. Er empfand düstere Genugtuung bei dem Gedanken, dass sie vielleicht, im Ganzen gesehen, nichts weiter war, als was er in sie hineingelesen hatte; dass sie damit ihr Äußerstes schon erreicht hatte, dass kein anderer sie je zum Nachdenken bringen würde. Doch genau das hatte sie an ihm auszusetzen gehabt; und Amory war es plötzlich leid, nachzudenken und immer nur nachzudenken!
»Hol sie der Teufel!«, sagte er bitter. »Sie hat mir das ganze Jahr verdorben!«
Der Übermensch wird nachlässig
An einem staubigen Septembertag traf Amory in Princeton ein und mischte sich unter die schweißgebadete Menge von Nachprüflingen, welche die Straßen bevölkerte. Es schien ihm eine überaus stupide Art, seine letzten beiden Studienjahre anzutreten, indem er Morgen für Morgen vier Stunden in einem stickigen Repetitorium zubrachte und unsäglich langweilige Kegelschnitte in sich aufsog. Mr. Rooney, Verführer der Schwachen im Geiste, fungierte als Klassenleiter und rauchte unzählige Pall Mall, während er von sechs Uhr morgens bis Mitternacht Diagramme zeichnete und Gleichungen löste.
»Also, Langueduc, wenn ich diese Formel anwendete, wo wäre dann mein Punkt A?«
Langueduc rückte lässig seine Footballerstatur von ein Meter neunzig zurecht und versuchte, sich zu konzentrieren.
[143] »Äh – öh – ich hab keinen blassen Schimmer, Mr. Rooney.«
»Aber, es ist doch klar, es ist doch wohl ganz klar, dass Sie diese Formel gar nicht anwenden können. Das war’s, was ich Ihnen erklären wollte.«
»Ja, klar, natürlich.«
»Verstehen Sie auch, warum?«
»Aber sicher doch – ich denk schon.«
»Wenn Sie’s nicht verstehen, dann sagen Sie es mir. Ich bin ja da, um es Ihnen zu erklären.«
»Na ja, Mr. Rooney, also wenn’s Ihnen nichts ausmacht, vielleicht könnten Sie das doch noch mal durchgehen.«
»Aber gerne. Also hier haben wir A…«
Dieser Raum war ein Lehrstück für Stumpfsinn – zwei hohe Regale für Papier, Mr. Rooney in Hemdsärmeln vor ihnen und schließlich ein Dutzend junger Männer, die sich auf den Stühlen lümmelten: Fred Sloane, der Pitcher, der um jeden Preis zu den Kandidaten für den senior council gehören musste; »Slim« Langueduc, der in diesem Herbst Yale schlagen würde, wenn er nur diese lächerlichen fünfzig Prozent schaffte; McDowell, ein fideler junger Sophomore, der es höchst amüsant fand, mit all diesen berühmten Athleten beim Repetitor zu sitzen.
»Die armen Kerle, die im Semester lernen müssen, weil sie sich’s nicht leisten können, zum Repetitor zu gehen, die tun mir wirklich leid«, vertraute er Amory eines Tages in flapsig-kameradschaftlichem Ton an und ließ seine Zigarette dabei lässig von den bleichen Lippen hängen. »Das muss doch furchtbar langweilig sein, wo im Semester in New York so viel los ist. Aber wahrscheinlich wissen sie gar nicht, was [144] sie verpassen.« Dabei war so etwas Verbrüderndes von »Wir zwei beide« in McDowells Gesicht, dass Amory nahe daran war, ihn für diese Bemerkung aus dem offenen Fenster zu schubsen… Im nächsten Februar würde seine Mutter sich wundern, warum er in keinen Club aufgenommen wurde, und seinen Monatswechsel erhöhen… so eine kleine Nuss…
Durch den Rauch und den feierlichen Ernst, den angestrengten Studieneifer, der den Raum erfüllte, drang der unvermeidliche, hilflose Schrei:
»Ich versteh’s nicht! Erklären Sie das noch mal, Mr. Rooney!« Die meisten waren so dumm oder so sorglos, dass sie nicht
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