Diesseits vom Paradies
Szene aus einer nebelverhangenen Tragödie, die weit hinter dem Dunstschleier spielte; doch dass sie etwas Bestimmtes zu bedeuten hatte, das wusste er mit Sicherheit.
Etwa um eins zogen sie weiter ins Maxim, und gegen zwei fanden sie sich im Devinière ein. Sloane hatte beim Trinken keine großen Pausen aufkommen lassen und war bester Laune, wenn auch nicht mehr ganz sicher auf den Beinen. Amory war lästigerweise noch ziemlich nüchtern; noch war ihnen keiner der guten alten Champagner-Schwarzhändler über den Weg gelaufen, die gewöhnlich zum Gelingen ihrer New Yorker Ausflüge beitrugen.
Sie hatten gerade einen Tanz beendet und waren auf dem Weg zurück zu ihren Plätzen, als Amory spürte, dass er von einem der benachbarten Tische beobachtet wurde. Er schaute sich beiläufig um… ein Mann mittleren Alters in lose sitzendem braunem Anzug war es, der etwas abseits allein an einem Tisch saß und ihre Gesellschaft aufmerksam beobachtete. Er beantwortete Amorys Blick mit einem schwachen Lächeln. Amory wandte sich Fred zu, der sich gerade hinsetzen wollte.
[167] »Wer ist dieser bleichgesichtige Kerl, der uns da beobachtet?«, fragte er aufgebracht.
»Wo?«, rief Sloane. »Den werden wir gleich draußen haben!« Er stand auf, schwankte hin und her und klammerte sich an seinen Stuhl. »Wo ist er?«
Plötzlich beugten sich Axia und Phoebe über den Tisch und tuschelten miteinander, und bevor Amory recht wusste, wie ihm geschah, waren alle auf dem Weg zum Ausgang.
»Wohin jetzt?«
»Wir gehen zu mir«, schlug Phoebe vor. »Da gibt’s Brandy und Soda – hier ist heute Abend sowieso nicht viel los.«
Amory dachte schnell nach. Er hatte kaum getrunken und entschied, dass es eine ganz vernünftige Idee wäre, weiter nüchtern zu bleiben und als einzig Zurechnungsfähiger mit der Gesellschaft mitzutrotten. Vielleicht war es sogar das einzig Richtige, um Sloane im Auge zu behalten, der nicht mehr in der Lage zu sein schien, einen eigenen klaren Gedanken zu fassen. Also hakte er Axia unter, und eng aneinandergepresst fuhren sie im Taxi über die Hunderter-Straßen und hielten schließlich vor einem hohen weißen Apartmenthaus… Niemals würde er diese Straße vergessen… Eine breite Straße, auf beiden Seiten von ebenso hohen, weißen Gebäuden gesäumt, die mit dunklen Fenstern übersät waren; sie erstreckten sich, so weit das Auge reichte, die Straße hinab und wurden vom hellen Mondlicht in ein kalkweißes Licht getaucht. Jedes dieser Gebäude, stellte er sich vor, hatte einen Lift und einen farbigen Boy und ein Schlüsselbrett; jedes hatte acht Stockwerke mit Drei- und Vierzimmerwohnungen. Er war heilfroh, als er sicher in Phoebes freundlichem Wohnzimmer gelandet war und sich [168] aufs Sofa fallen lassen konnte, während die Mädchen die Wohnung nach Essbarem durchstöberten.
»Phoebe ist toll«, vertraute Sloane ihm halblaut an.
»Ich bleibe auf jeden Fall nur eine halbe Stunde«, sagte Amory streng und fragte sich, ob das wohl pedantisch geklungen hatte.
»Den Teufel tus’ du«, protestierte Sloane. »Jetzt bleib’n wir ersma’ schön hier – nur keine Hast.«
»Mir gefällt’s hier nicht«, sagte Amory trotzig, »und ich will auch nichts essen.«
Phoebe erschien mit Sandwiches, Brandy, Sodawasser und vier Gläsern.
»Schenk ein, Amory«, sagte sie, »und dann trinken wir auf Fred Sloane und seine feine, distinguierte Art.«
»Ja«, sagte Axia, die gerade hereinkam, »und auf Amory. Amory gefällt mir.« Sie setzte sich neben ihn und legte ihren blonden Schopf auf seine Schulter.
»Ich schenk ein«, sagte Sloane, »du nimms’ das Sodawasser, Phoebe.«
Sie stellten die Gläser aufs Tablett.
»Jetzt kann’s losgehen!«
Amory, die Hand schon am Glas, zögerte.
Einen winzigen Moment überlief ihn die Versuchung wie ein warmer Hauch, seine Phantasie entzündete sich, und er nahm Phoebe das Glas aus der Hand. Das war auch schon alles; denn genau in dem Moment seiner Entscheidung schaute er auf und sah, keine zehn Meter von sich entfernt, den Mann aus dem Café, fuhr erschrocken zusammen, und das Glas fiel ihm aus der erhobenen Hand. Dort saß der Mann auf dem Ecksofa; zurückgelehnt gegen einen Stapel [169] Kissen. Sein Gesicht hatte dieselbe gelbliche Wachsfarbe wie im Café: weder die stumpfe, teigige Färbung eines Toten – eher eine Art männlicher Blässe –, noch hätte man sie ungesund nennen können; sondern wie die eines kräftigen Mannes, der unter Tage oder auf Nachtschicht in
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