Diktator
vorsichtig, mit erhobenem Gewehr, und hielten sich dicht an den Häuserwänden zu beiden Seiten der Straße. Sie spähten zu den höher gelegenen Fenstern hinauf; offensichtlich hatten sie Angst vor Heckenschützen. Aber manche von ihnen traten Haustüren ein oder zerschlugen Schaufenster, gingen hinein und kamen mit Uhren oder Silberschmuck wieder heraus. Nach ihnen erschien eine Kradeinheit mit deutschsprachigen
Wegweisern – Ersatz für die abmontierten Schilder – und Pappplakaten, die sie an Laternenpfähle banden und an Türen nagelten.
Dann folgte eine Gruppe von Militärpolizisten, die Feldgendarmerie, mit einigen rangniedrigen Wehrmachtsoldaten. Die MPs betrachteten das Rathaus und musterten George finster. Sie unterhielten sich leise auf Deutsch und suchten das Gebäude auf einem Stadtplan. Sie befahlen zwei Soldaten, hier zu bleiben, offenbar als Wachposten. Dann marschierten sie weiter.
Die beiden Männer sahen George an, fuhren jedoch mit ihrer Arbeit fort, als sie merkten, dass er weder eine Waffe noch die Absicht hatte, sie daran zu hindern. Sie holten einen Hammer und Nägel aus einem Segeltuchbeutel und nagelten ein Plakat an die Rathaustür. Als sie fertig waren, bezogen sie ebenfalls Position neben der Tür. Sie standen herum, ohne George zu beachten, und teilten sich eine Zigarette.
George warf einen Blick auf das Plakat. Darauf stand:
BEKANNTMACHUNG AN DAS ENGLISCHE VOLK
ERSTENS: VON DEUTSCHEN TRUPPEN BESETZ-TES ENGLISCHES GEBIET WIRD UNTER MILI-TÄRVERWALTUNG GESTELLT.
ZWEITENS: DIE MILITÄRBEFEHLSHABER WERDEN VERORDNUNGEN ERLASSEN, DIE FÜR DEN SCHUTZ DER TRUPPEN UND DIE AUFRECHTERHALTUNG VON RECHT UND ORDNUNG NÖTIG SIND …
Und schließlich:
SECHSTENS: ICH WARNE ALLE ZIVILISTEN, DASS AKTIVE OPERATIONEN GEGEN DIE DEUTSCHEN STREITKRÄFTE UNERBITTLICH MIT DEM TODE GEAHNDET WERDEN.
Die Bekanntmachung war von Generalfeldmarschall von Brauchitsch unterzeichnet, dem »Oberbefehlshaber des Heeres«. Während die Deutschen bisher eine gesichtslose Masse gewesen waren, ein amorpher Feind, würde er jetzt solche Namen lernen müssen, vermutete George. Er wandte sich ab.
Kurz danach kam eine erheblich größere Kolonne durch die Stadt: ein paar Panzer, Lastwagen, Männer zu Fuß, Pferdekarren und Waffen. Die Soldaten schauten George müde an; er sah Salzflecken an ihren Stiefeln.
An der Spitze der Kolonne fuhr ein äußerst vornehmer Wagen, ein prächtiger, silbergrauer Bentley. George fragte sich, wo sie diese Schönheit hatten mitgehen lassen – ihm war klar, weshalb der Besitzer es nicht übers Herz gebracht hatte, die Anweisungen zu befolgen und das Auto fahruntüchtig zu machen. Ein Wehrmachtsoldat chauffierte einen Mann in schwarzer Uniform, der von einer Frau in ähnlicher Uniform und mit leuchtend blonden Haaren begleitet wurde.
Der Wagen hielt vor dem Rathaus. Der Fahrer öffnete dem Offizier und der Frau die Tür; die beiden Wachposten warfen sich in Positur und salutierten
militärisch. Der Mann in Schwarz streckte den rechten Arm nach vorn. »Heil Hitler.« Es war das erste Mal, dass George einen Nazigruß sah, außer in den Wochenschauen.
Der Mann und seine Begleiterin näherten sich George. »Sieh an, sieh an«, sagte die Frau. »Ein englischer Bobby! Ist Jahre her, dass ich eins dieser Exemplare gesehen habe. Und schau, Josef, er hat keine Angst vor dir.«
»Gut für ihn«, sagte der Mann, ebenfalls auf Englisch. »Constable, nicht wahr?«
George war verwirrt. Der Mann hatte einen deutschen Akzent, aber die Frau sprach ein eisiges Oberschichtsenglisch im Noel-Coward-Stil. Und in der Art, wie sie ihn anstarrte, lag etwas sehr Beunruhigendes: Blond und hoch gewachsen, war sie außergewöhnlich schön. Er sagte: »Ich bin Police Constable Geoge Tanner, Dienstnummer …«
Der Mann brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen. »Ja, ja, Mann, ich sehe Ihre elende Nummer auf Ihrem Schulterstück. Ich bin Standartenführer Trojan, und das ist Unterscharführerin Fiveash. Wir sind von der Schutzstaffel. Das ist der Sicherheitsdienst, den Sie vielleicht als SS kennen. Verstehen Sie mich?«
»Ja, Sir.«
»Oh, wie förmlich«, sagte die Frau.
George blinzelte. »Sie sind Engländerin«, sagte er zu der Frau.
»So wie Sie«, sagte Trojan, »aber erheblich intelligenter,
weil sie in diesem unnötigen Krieg auf der richtigen Seite kämpft. Also sagen Sie mir, ist das hier die Zentrale Ihrer Stadtregierung? Ihr Bürgermeister ist hier?«
»Ja,
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