Dinner mit Rose
dieses Kind wirkt besser als jeder Katastrophenfilm.«
Kim kam herein und schloss die Tür so heftig, dass man es schon als Zuknallen bezeichnen konnte. Sie nahm ihre neue Rolle als Rocklady sehr ernst; an diesem Tag trug sie Doc-Martens-Stiefel, eine schimmernde schwarze Strumpfhose und einen extrem kurzen karierten Rock. Der Saum lugte kaum unter dem abgetragenen T-Shirt hervor, das vermutlich Matt gehörte. Es war ihr viel zu groß, und auf der Vorderseite prangte das von Flammen umzüngelte Wort SEPULTURA und darüber ein höhnisch grinsender Totenkopf.
»Schickes Outfit«, lobte ich. Kim auf den Arm zu nehmen gehörte zu meinen liebsten Hobbys.
»Hi, Tante Rose«, sagte sie, ohne mich zu beachten. Sie beugte sich vor und gab ihrer Tante einen Kuss auf die faltige Wange. Ich freute mich schon darauf, wenn Rose wieder ein paar Pfunde zulegen würde. Der enorme Gewichtsverlust hatte sie stark altern lassen, und mit dreiundfünfzig war sie viel zu jung, um so vergreist und verhärmt auszusehen.
»Hallo, Liebes«, sagte Rose. »Wie war dein Tag?«
»Beschissen.« Kim thronte auf dem Küchentisch und ließ die Füße baumeln.
»Wie schade.«
»Hey, Jo, schmeißt du mir mal einen Apfel rüber?« Ich gehorchte, und sie biss genüsslich hinein. »Diese Schwachköpfe in der Schule sind so blöd, dass sie ihren eigenen Arsch im Dunkeln nicht finden würden.«
»Kim Amanda King!«, rügte Tante Rose sie scharf. »Diese Ausdrucksweise lässt darauf schließen, dass du zu dumm bist, anständiges Englisch zu sprechen. Wenn du dumm wärst , würde ich ja nichts sagen, aber das bist du nicht.«
»Sorry«, murmelte Kim.
»Welche Schwachköpfe in der Schule meinst du denn?«, erkundigte ich mich. »Ich meine, wer hatte das Pech, sich dein Missfallen zuzuziehen?«
»Der Direktor und der Konrektor. Das sind Idioten!«
»Was hast du denn verbrochen?«, fragte Rose mit deutlichen Bedenken.
»Ich hatte eine Zigarette in der Tasche.«
»Oh, Kim, fang bitte nicht an zu rauchen«, bat Tante Rose. »Denk doch an die Kosten, wenn schon nicht an die unbedeutende kleine Statistik, der zufolge jeder zweite Raucher an seinem Laster stirbt.«
»Nein, nein«, versicherte Kim ihr hastig. »Aber ehrlich – so ein Theater wegen nichts und wieder nichts. Mum ist ganz hysterisch geworden, und ich muss vor dem Disziplinarkomitee antanzen.«
»Wegen einer Zigarette?« Mein Argwohn wuchs.
»Nun ja, eigentlich war es ein Joint. Aber trotzdem …«
» Was? «, entfuhr es Tante Rose. Sie umklammerte den Schneebesen so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten, richtete sich zu ihrem vollen Gardemaß auf und funkelte ihre Nichte an. »Du hast Marihuana in die Schule mitgenommen? Bist du von allen guten Geistern verlassen?«
»Tante Rose, es war nur ein einziger kleiner Joint …«, begann Kim verzagt.
»Ich will nicht mit dir diskutieren«, zischte Tante Rose. »Ich könnte sonst etwas sagen, was ich später bereue.« Sie nahm eine Wurst für die Hunde aus dem Schrank, stapfte in die Dämmerung hinaus und schlug die Tür hinter sich zu.
Einen Moment lang herrschte Stille, dann bemerkte Kim in einem etwas misslungenen Versuch, ihre Missetat auf die leichte Schulter zu nehmen: »Das hat das alte Mädchen umgehauen.«
»Du hältst besser den Mund«, befahl ich schroff und verstaute die restlichen Lebensmittel in der Speisekammer.
»Du musst dich gerade aufregen«, fuhr Kim auf. »Ich glaube dir nicht, dass du noch nie einen Joint geraucht hast!«
Tatsächlich hatte ich mir in meinem bisherigen behüteten Dasein nur ein Mal einen mit Chrissie geteilt – an einem Abend, an dem Graeme lange arbeiten musste –, und danach waren wir beide davon eingeschlafen. Kein Paradebeispiel für ausschweifende Zeiten. »Selbst in meinen dümmsten Teenagermomenten habe ich keine Drogen zur Schule mitgenommen«, fauchte ich. »Die könnten dich in hohem Bogen rauswerfen – und was machst du dann?«
»Schule ist sowieso nur Zeitverschwendung. Vielleicht schmeiße ich den ganzen Kram hin.«
»Eine hervorragende Idee! Dann kannst du für einen Hungerlohn an der Tankstelle Benzin zapfen. Und wenn du großes Glück hast, findest du einen Trottel – den, mit dem du dich triffst, zum Beispiel –, der dich schwängert. Da kannst du dein Leben gleich ruinieren, wenn du schon mal dabei bist. Aber keine Sorge, wenn du genug Dope rauchst, kümmert dich das nicht.«
Kim brach in Tränen aus, warf ihren halb aufgegessenen Apfel nach mir und rannte aus dem
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