Doch du wirst nie vergessen: Roman (German Edition)
Schließlich nickte sie. »Sie war sehr krank, ich ’atte große Angst um sie.«
»Ist sie vergewaltigt worden?«, fragte Noah behutsam.
Er spürte ihre Unruhe und hielt den Atem an, weil er befürchtete, sie würde nichts mehr sagen. Aber Lisette holte tief Luft und sah ihm direkt in die Augen. »Ja, sie wurde vergewaltigt. Wieder und wieder«, gab sie zu, und er merkte, wie entsetzt auch sie darüber war. »Es ist schrecklich, einem so jungen Mädchen so etwas anzutun. Der Körper wird gesund, die Seele vielleicht nicht«, fügte sie hinzu.
Sie machte eine Pause und sah Noah forschend an, als wäre sie immer noch unschlüssig, ob sie ihm trauen konnte. »Aber Belle war eine Kämpfernatur, sie ’at einen starken … wie sagt man? Geist?«, sagte sie dann. »Sie ’at mich gebeten, ihr zu ’elfen, aber ich konnte nicht, sonst wären mein Junge oder ich jetzt tot. Sie verstehen?«
Noah legte tröstend seine Hand auf ihre. »Ich bin überzeugt, dass Sie ihr geholfen hätten zu fliehen, wenn es Ihnen möglich gewesen wäre. Aber ich bin nicht hier, um Ihnen Vorwürfe zu machen. Ich möchte Belle bloß finden und nach Hause bringen, zu den Menschen, die sie lieben. Dort kann sie entscheiden, ob sie etwas über die Engländer sagen will, die sie entführt und nach Frankreich gebracht haben, damit die beiden bestraft werden können.«
»Sie ist nicht in Frankreich«, unterbrach Lisette ihn. »Sie ist in Amerika. Das ist alles, was ich weiß.«
»Amerika!« Noah fühlte, wie ihn aller Mut verließ. »Sind Sie sicher?«
Lisette nickte. »Sehen Sie, ich war nicht dabei, als Belle ging. Ich komme am Morgen, und sie ist weg. Ich wünschte, sie wäre in Frankreich oder Belgien und ich könnte Ihnen sagen, wo, weil ich Belle lieb ’abe. Aber sie sagen mir nicht, wo in Amerika sie ist.«
»Sie wurde an ein Bordell verkauft?«, fragte Noah im Flüsterton.
»Hübsche, junge Mädchen sind für diese Leute wie Vieh«, zischte sie. »Belle war ein Filetstück. Jung, englisch, sehr schön. Genauso war es bei mir, als ich jung war. Ich wurde in ein Bordell in England gebracht, deshalb kann ich Englisch. Aber ich sitze immer noch in der Falle – zu alt für das Bordell, aber gut genug, um die Mädchen zu pflegen, denen sie wehtun.«
»Man lässt Sie nicht gehen?«, fragte er.
»Nie«, sagte sie traurig. »Ich bin als Krankenschwester zu viel wert, und sie wissen Dinge über mich, mit denen sie mich unter Druck setzen. Wenn ich Geld ’ätte, könnte ich vielleicht mit meinem Jean-Pierre aus Frankreich fliehen, aber das kostet sehr viel Geld.«
»Ich könnte Sie von hier wegbringen«, schlug Noah spontan vor.
Sie lächelte bekümmert. »Nein. Das ist wirklich nicht Ihre Sache.«
»Ich finde doch. Ich gebe Ihnen meine Adresse«, bot Noah an. »Wann immer Sie Hilfe brauchen, melden Sie sich, und ich komme Sie holen oder treffe Sie in Dover, Ehrenwort. Glauben Sie mir?«
»Ja, ich denke, Sie sind ein sehr netter Mann«, sagte sie.
»Kennen Sie vielleicht irgendjemand, der uns sagen könnte, wo Belle hingebracht wurde?« Noah wollte unbedingt noch ein bisschen mehr aus ihr herauskriegen.
»Ich bin nur ein Glied in der Kette«, sagte Lisette unglücklich. »Sie vertrauen mir nicht einmal an, wer das nächste Glied ist. Ich weiß nicht mehr.«
Noah glaubte ihr. Sie mochte die Namen einiger Leute kennen, aber er bezweifelte, dass es sich um die echten Namen handelte, weil eine Organisation wie diese nicht überleben würde, wenn so etwas bekannt wurde.
Er langte in seine Innentasche, holte die Liste mit den Namen der anderen Mädchen hervor, die verschwunden waren, und zeigte sie Lisette. »Kommen Ihnen einige der Namen vielleicht bekannt vor?«, fragte er.
Sie studierte die Liste sorgfältig. »Da war eine Amy aus England, nur für eine Nacht«, sagte sie stirnrunzelnd. »Und eine Flora und eine May auch, glaube ich.«
Diese drei Mädchen waren die jüngsten auf der Liste und jede von ihnen war angeblich auffallend hübsch gewesen. »Sind sie auch nach Amerika geschickt worden?«
»Nein, nur Belle wurde nach Amerika gebracht, die anderen nach Belgien.«
Sie konnte ihm nur sagen, dass es irgendwo in Brüssel war, eine Adresse hatte sie nicht.
»Als ich Sie vorhin ansprach, dachten Sie, ich käme von einem Monsieur Deverall. Wer ist das?«, fragte Noah.
Die Angst kehrte in Lisettes Augen zurück. »Ich kann nichts über ihn sagen«, sagte sie hastig. »Er ist der Mann an der Spitze. Ich kenne ihn nicht, aber ich
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