Doch du wirst nie vergessen: Roman (German Edition)
zum ersten Mal, ob zwischen ihr und Etienne nicht doch mehr gewesen war. Aber es gehörte sich nicht, sie danach zu fragen. Außerdem hatte er mit seinen Neuigkeiten für einen Tag genug Schaden angerichtet. Da er ihr über ihre Leute in England nicht mehr erzählen konnte, hielt er es für besser zu gehen, anstatt Small Talk zu machen. Außerdem musste er seine Notizen ordnen, damit er einen präzisen Bericht über die Ereignisse der letzten Tage verfassen konnte, und das Telegramm an Mog aufgeben.
Als er Belle sagte, dass er jetzt gehen müsse, starrte sie ihn einen Moment lang verständnislos an. »Oh ja, natürlich. Danke, dass Sie mich besucht haben. Ich hoffe, dass mit Ihnen und Lisette alles gut geht.«
»Und ich hoffe, dass Sie sich wohl genug fühlen, um die Klinik bald zu verlassen.«
Als sich die Tür hinter Noah schloss, fing Belle an zu weinen, weil sie daran denken musste, wie liebevoll Etienne ihr gegenüber gewesen war und wie schnell er Richtung Paris aufgebrochen sein musste, als Gabrielle ihn benachrichtigen ließ.
Bedeutete das vielleicht, dass er tiefere Gefühle für sie hegte? Er hatte gesagt, dass er sich noch erinnern könnte, wie schön sie an ihrem letzten Abend auf dem Schiff ausgesehen habe. Erinnerte er sich auch daran, wie sie sich in der schmalen Koje geküsst hatten?
Zwei Jahre lang hatte sie Erinnerungen an Etienne heraufbeschworen, wenn sie traurig war oder sich einsam fühlte, und wenn sie ganz ehrlich war, sogar wenn sie mit ihren Kunden zusammen war. Es war natürlich schändlich von ihr, gleich nachdem sie von dieser furchtbaren Tragödie gehört hatte zu hoffen, dass sie vielleicht eine gemeinsame Zukunft hatten. Aber warum sonst hätte sie das Schicksal wieder zusammenführen sollen, wenn nicht aus diesem Grund?
KAPITEL 35
»Und du versprichst, mir zu schreiben? Und bald nach England zu kommen?«, fragte Belle.
Sie waren am Gare du Nord. Etienne und Belle standen auf dem Bahnsteig, von dem der Zug nach Calais abfuhr. Noah war bereits mitsamt dem Gepäck eingestiegen, um den beiden Gelegenheit zu geben, ungestört voneinander Abschied zu nehmen.
Auf dem Bahnhof war unglaublich viel Betrieb. Es herrschte ein Höllenlärm von all den Dampfloks und Gepäckkarren und den Menschen, die laut durcheinanderschrien, um sich verständlich zu machen. Aber Belle nahm nur Etienne wahr, der ihre Hände hielt und sie ansah. Sie wollte die Erinnerung an sein Gesicht für alle Zeiten im Gedächtnis behalten. Die blauen Augen, die manchmal kalt wie der Atlantik sein konnten und in denen doch die Wärme und Lebensfreude von New Orleans lagen, wenn er sie anschaute. Seine markanten Wangenknochen, die geschwungenen, ausdrucksvollen Lippen. Am liebsten hätte sie ihm den Hut abgenommen und sein blondes Haar zerzaust, weil es ihr schon damals auf der Überfahrt so gut gefallen hatte, wenn Etienne nach dem Aufwachen so zerstrubbelt und sehr jungenhaft aussah.
Belle hatte länger als erwartet in der Klinik bleiben müssen, weil es ihr auf einmal sehr schlecht ging und sie hohes Fieber bekam. Der Arzt meinte, es läge am Schock, aber sie glaubte, dass es eher die Angst gewesen war, Pascal könnte sie geschwängert haben. Aber zum Glück setzte bald darauf ihre monatliche Blutung ein, und sie erholte sich rasch. Die Narbe auf ihrem Bauch war gut verheilt, aber sie vermied es, sie anzuschauen; sie wollte durch nichts daran erinnert werden, was Pascal mit ihr gemacht hatte.
Aber Etiennes Besuche waren es, die sie vollständig hatten genesen lassen. Wenn er kam, brachte er Obst, Gebäck oder andere kleine Leckereien mit, setzte sich zu ihr ans Bett und erzählte ihr, was er an diesem Tag in der Zeitung gelesen hatte. Sie ertappte sich dabei, ihm witzige Geschichten über Marthas Mädchen zu erzählen, und er revanchierte sich mit Anekdoten über einige der Gauner, die er kennengelernt hatte. Irgendwann sprach er auch über das Feuer und den Verlust seiner Familie und den bodenlosen Abgrund, in den er danach gesunken war, aber lieber redete er über seine Pläne für seinen kleinen Bauernhof und ermunterte sie, ihren Traum vom eigenen Hutsalon wahrzumachen.
Meistens allerdings unterhielten sie sich über belanglose Dinge wie die Sehenswürdigkeiten, die sie in New York besucht, und Bücher, die sie gelesen hatten, oder Orte, die sie gern noch sehen würden. Etienne war so ein angenehmer Gesellschafter; nie löcherte er sie mit Fragen oder wollte wissen, woran sie gerade dachte. Und er gab ihr nie
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