Dohlenflug
Vorwurf. Ich wollte dir nur ersparen, noch einmal
alles herunterzubeten, was du vor einer Viertelstunde mit Hans besprochen
hast, der sich zwischenzeitlich schon wieder gemeldet hat. Apropos: Du
hast ihm gegenüber so eine Andeutung gemacht, als wüsstest du,
wo sich Marageter aufhält?«
»Ich sagte, ich habe
eine Idee. Von wissen kann keine Rede sein. Wir müssen morgen noch
einmal Marageters Bergrettungskollegen und auch gewisse andere Leute dazu
interviewen. Vielleicht können wir …«
»Was ist? Warum
sprichst du nicht weiter?«
Kotek hatte die Tankpistole
wieder eingehängt. Weil es doch empfindlich kalt war, hatte sie den
Anorak aus dem Wagen nehmen wollen, um ihn auf dem Weg zur Kasse überzuziehen.
Zufällig war ihr Blick dabei auf die Autos vor der äußeren
Zapfsäulenreihe gefallen.
»Das … das wirst
du jetzt nicht für möglich halten: Aber vor mir ist eben ein
dunkelblauer Range Rover weggefahren – in Richtung Gasteiner Tal.
Ich habe das Nummernschild nicht mehr lesen können, weil ich zu
überrascht war, aber ich bin mir fast sicher, dass es der Wagen von
Regenmandl war. Ich bilde mir sogar ein, diesen Kratzer an der D-Säule
gesehen zu haben.«
Jacobi kam nicht mehr dazu,
etwas zu erwidern, da seine Lebensgefährtin schon aufgelegt hatte.
Drei, vier Stufen auf einmal nehmend sprang sie zum Buffet hinauf, in
welchem sich auch die Kasse befand, und hielt der Kassiererin ihren
Ausweis unter die Nase.
»Gendarmerieoberleutnant
Kotek! Ich verfolge einen flüchtigen Verbrecher und komme später
zurück, um zu bezahlen. Meine Autonummer haben Sie?«
Das Mädchen starrte sie
mit offenem Mund an. Ob es die Nummer notierte, sah Kotek nicht mehr, sie
saß bereits wieder hinter dem Lenkrad, knallte das Blaulicht auf das
Wagendach und schoss davon.
Noch ehe sie die Auffahrt zum
Klammtunnel erreicht hatte, hatte sie die Gasteiner Kollegen
benachrichtigt, und kaum war sie im Tunnel, trat sie das Gaspedal voll
durch. Zwei vor ihr fahrende SUVs wichen diszipliniert zur Seite, einen
Range Rover konnte sie allerdings nirgendwo erblicken.
Auch als die Klamm längst
hinter ihr lag und sie unter der Burg Klammstein hindurchgebraust war,
zeigte sich vor ihr auf der kaum befahrenen Straße noch immer kein
großer Geländewagen.
Wenn sie auch das Potenzial
des RS 4 nicht so ausschöpfen konnte wie Jacobi – erst recht
nicht unter den gegebenen Verhältnissen –, so fuhr sie doch bis
an die Grenze dessen, was sie gerade noch für vertretbar hielt.
Umsonst!
Spätestens nach der
langen Geraden zwischen Dorfgastein und Harbach hätte sie Regenmandl
eingeholt haben müssen. Aber weit und breit keine Spur von ihm.
Entweder war er schon in Dorfgastein abgebogen, oder er hatte sich sonst
wo in eine Seitenstraße verkrümelt.
Ein Anruf bei den Kollegen in
Hofgastein brachte dasselbe negative Ergebnis. Der diensthabende Beamte
schloss sogar aus, dass der Range Rover weiter als bis zur Achenbrücke
am Bahnhof gekommen sein könnte. Unmittelbar vor der Kreuzung habe nämlich
der Frankenburger Bascht, ein ortsbekannter Sandler, mitten auf der Straße
gelegen – sturzbetrunken und im Begriff einzuschlafen. Wäre
Regenmandl in der letzten Minute hier vorbeigekommen, hätte er den
Mann todsicher überfahren. Der Bascht weise aber außer einem
Vollrausch, den er sich beim »Branntweiner« zugezogen hatte,
und totalem Orientierungsverlust keine weiteren Beeinträchtigungen
auf.
»Sehr beruhigend«,
ätzte Kotek, total frustriert über den Fehlschlag. Auf der Rückfahrt
zur Tankstelle rief sie noch einmal Jacobi an.
»Und?«, fragte er
knapp.
»Die volle Pleite!«,
rief Kotek verzweifelt. »Er ist mir entwischt. Entweder ist er
irgendwo abgebogen, oder er war’s gar nicht. Dann könnte der
Fahrer auch in Richtung Zell am See gefahren sein.«
»Könnte er.«
Wenn Jacobi so wortkarg wurde, bedeutete das meist, dass er anderer
Meinung war.
»Also, du Oberguru,
dann sag mir eben, wie du die Sache siehst.« Kotek war müde und
wurde ungeduldig.
»Noch genau so wie
gestern«, begann Jacobi, ohne auf den Fahrer des Range Rovers
einzugehen. »Der Mörder versteht was vom Töten und braucht
dringend Geld. Würde er sich sonst auf eine so blutige Jagd nach
einem Schatz einlassen, dessen Existenz nicht einmal gewährleistet
ist?«
»Also fällt für
dich Regenmandl weg – auch als Fahrer des
Weitere Kostenlose Bücher