Doktor im Glück
war.
«Jetzt wollen wir aber bitte den Patienten aufsuchen.» Die Nutbeams sahen recht verwirrt aus. «Und ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie die Güte hätten, mir ein reines Handtuch zu geben.»
Ich erinnerte mich, daß Sir Lancelot in protzigen Häusern stets nach einem reinen Handtuch verlangte, und dies in einem Ton, der unterstellte, daß es sich um eine schwer zu erfüllende Forderung handelte.
«Dr. Grimsdyke wird mich hinführen», fuhr er fort, als ich respektvoll beiseitetrat. «Der Hausarzt des Patienten geht dem konsultierenden Arzt ins Krankenzimmer voran. So verlangt es die Etikette, und ich bin der letzte, sie zu ändern.»
Unsere Konsultation erwies sich als ein großer Erfolg. Sir Lancelot redete zuerst zwanzig Minuten lang über die Heilkunst der alten Chinesen, dann untersuchte er den Patienten, plauderte ein wenig über byzantinische Architektur, und als er Seine Gnaden verließ, sah dieser besser aus als seit Wochen.
«Und Sie stellten die ursprüngliche Fraktur lediglich nach physischen Anzeichen fest, Grimsdyke?» fragte er, als wir draußen standen.
«Ja, Sir.»
«Gratuliere. Die Schwierigkeit, eine derartige Diagnose zu stellen, ist ebenso groß wie das Verhängnis, das bei einer Fehldiagnose entsteht.»
«Sehr — außerordentlich freundlich von Ihnen, Sir.»
«Ehre, wem Ehre gebührt. In Ihrem Fall ausnahmsweise einmal ohne Einschränkungen.»
Ich fühlte mich trotzdem kolossal geschmeichelt. Allerdings war ich stets der Ansicht, orthopädische Chirurgie sei nichts anderes als eine Art Zimmermannsarbeit, und im Bastelkurs an der Schule hatte ich ja auch Glanzstücke geleistet.
Die zwei anderen Nutbeams harrten unser gespannt in der Halle, aber am Fuß der Treppe angekommen, griff Sir Lancelot einfach nach seinem Hut.
«Sir Lancelot—?»
Percy sah aus, als ob er nicht ganz auf seine Kosten gekommen wäre.
«Ja, Mr. Nutbeam?»
«Haben Sie — äh — nichts über meinen Bruder zu sagen?»
«Ich werde mit meinem Kollegen Konsultation halten, und dieser wird Sie dann informieren. Das entspricht der ärztlichen Gepflogenheit.»
«Aber wenn Sie uns nur ein einziges Wort der Hoffnung geben können!» rief Amanda aus. Ich bildete mir ein, sie blickte dabei verstohlen auf den Kalender.
«Ich glaube, mein Kollege hat nichts dagegen, wenn ich Ihnen mitteile, daß Sie bald eine Besserung in Seiner Gnaden Zustand feststellen werden können.»
«Gott sei gedankt!» riefen die beiden unisono.
«Jetzt aber werden wir, wenn Sie gestatten, Dr. Grimsdyke, in Ihre Ordination zurückkehren.» Er zog seine große goldene Uhr hervor. «Es bleibt uns bis zur Abfahrt des Vier-Uhr-Zuges wahrhaft nicht viel Zeit zu einer Diskussion.»
Sir Lancelot erwähnte den Patienten keineswegs auf unserer Rückfahrt zu Onkels Villa, sondern ließ sich in breiten Schilderungen über die verschiedenen Methoden des Dachdeckens aus. Ich mußte warten, bis er sich gemütlich zu einer Tasse Tee im Salon niedergelassen hatte.
«Von der Fraktur abgesehen, die einen unkomplizierten Heilungsverlauf nimmt», erklärte er, «fehlt Lord Nutbeam nicht das geringste. Aber ein Ding braucht er unbedingt — Interesse am Leben. Glauben Sie mir, es ist gar nicht so schwer, sich richtig zu Tode zu langweilen. Was schlagen Sie vor?»
«Noch mehr Bücher, Sir?»
Sir Lancelot schien meine Antwort zu belustigen.
«Ein bemerkenswerter Vorschlag ausgerechnet von Ihnen, Grimsdyke. Der Rat, niemals einen andern nach sich selbst zu beurteilen, gehört zu den blödesten Redensarten. Wiese die gesamte Menschheit nicht verblüffende Ähnlichkeiten auf, würde die praktische Heilkunde zum Stillstand verurteilt sein.»
Er bestrich ein Stück Weißbrot mit dicker Sahne und Erdbeerjam.
«Ich schließe mich der Ansicht an, daß Lord Notbeams Expedition ins Spital, nachdem er sein Leben lang ein Einsiedlerdasein geführt hat, wie ein Schock wirken mußte. Mit dem erschreckenden Fortschreiten der Spezialisierung geht die Überfüllung der Spitäler mit Personal Hand in Hand — es ist selbstverständlich vollkommen ausgeschlossen, dort Ruhe zu finden. Haben Sie seine Pflegerinnen gesehen?»
«Ja, das habe ich, Sir. Es gab eine Stationsschwester dort und —»
Sir Lancelot hob die Hand. «Es genügt mir völlig, Grimsdyke, daß Sie sie bemerkten. Zweifellos findet Lord Nutbeam die amateurhaften Handreichungen seiner Schwägerin weniger angenehm. Morgen werde ich durch ein Londoner Vermittlungsbüro eine qualifizierte Pflegerin
Weitere Kostenlose Bücher