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Doktor Pascal - 20

Doktor Pascal - 20

Titel: Doktor Pascal - 20 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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hatte er begriffen. Es war eine Embolie, er konnte nur der Unzulänglichkeit seiner Vorbereitungen die Schuld geben, seiner noch unvollkommenen Methode. Zweifellos war Lafouasse ohnehin verloren gewesen, er hätte vielleicht keine sechs Monate mehr gelebt, und nur unter fürchterlichen Schmerzen; aber das Grausame der Tatsache blieb dennoch bestehen, dieser entsetzliche Tod! Und welch verzweifelte Reue, welche Erschütterung seines Glaubens, welcher Zorn gegen die ohnmächtige, mörderische Wissenschaft! Er kam totenbleich nach Hause und ließ sich erst am nächsten Tag wieder sehen, nachdem er sechzehn Stunden lang eingeschlossen in seinem Zimmer geblieben war und sich in Kleidern auf sein Bett geworfen hatte, ohne einen Laut von sich zu geben.
    Am Nachmittag jenes Tages wagte Clotilde, die mit ihm im großen Arbeitszimmer saß und nähte, das lastende Schweigen zu brechen. Sie hatte aufgeblickt, sie sah, wie er nervös in einem Buch blätterte und nach einer Angabe suchte, die er nicht fand.
    »Meister, bist du krank? Warum sagst du es nicht? Ich würde dich pflegen.«
    Er starrte unverwandt in das Buch und murmelte mit dumpfer Stimme:
    »Krank? Was kümmert dich das? Ich brauche niemanden.«
    Versöhnlich sagte sie:
    »Wenn du Sorgen hast, würde es dich vielleicht erleichtern, daß du sie mir anvertrauen kannst … Gestern bist du so traurig heimgekommen! Du darfst dich nicht so niederdrücken lassen. Ich war die ganze Nacht in Unruhe, dreimal war ich an deiner Tür und habe gelauscht, weil mich der Gedanke quälte, daß du leidest.«
    So sanft sie auch gesprochen hatte, es traf ihn wie ein Peitschenhieb. Von Krankheit geschwächt, stieß er in jähem Zorn das Buch zurück und richtete sich zitternd auf.
    »Also spionierst du mir nach! Ich kann mich nicht einmal in mein Zimmer zurückziehen, ohne daß man mich belauscht … Ja, man horcht sogar auf das Schlagen meines Herzens, man lauert auf meinen Tod, um hier alles auszuplündern, alles in Flammen aufgehen zu lassen …«
    Und seine Stimme schwoll an, all sein unverdientes Leiden machte sich in Klagen und Drohungen Luft.
    »Ich verbiete dir, dich mit mir zu beschäftigen … Oder hast du mir sonst noch was zu sagen? Hast du nachgedacht, kannst du deine Hand aufrichtig in meine legen und mir sagen, daß wir eines Sinnes sind?«
    Aber sie antwortete nicht mehr, sie sah ihn nur immerfort mit ihren großen klaren Augen freimütig an in dem Wunsch, sich noch nicht zu entscheiden, während er, durch diese Haltung nur noch mehr erbittert, jedes Maß verlor.
    Er stammelte und jagte sie mit einer Handbewegung weg.
    »Mach dich fort! Mach dich fort! Ich will dich nicht in meiner Nähe haben! Ich will keine Feinde in meiner Nähe haben! Ich will mich nicht wahnsinnig machen lassen!«
    Sie hatte sich sehr bleich erhoben, nahm ihre Handarbeit und ging hoch aufgerichtet, ohne sich umzuwenden, hinaus.
    Während des folgenden Monats versuchte Pascal sich in angestrengte Arbeit zu flüchten, die all seine Zeit in Anspruch nahm. Ganze Tage lang saß er allein in dem großen Arbeitszimmer und verbrachte selbst die Nächte damit, alte Dokumente wieder vorzunehmen und all seine Arbeiten über die Vererbung völlig umzuschreiben. Er schien von einer wahren Sucht befallen, sich davon zu überzeugen, daß seine Hoffnungen berechtigt waren; er schien die Wissenschaft zwingen zu wollen, ihm die Gewißheit zu geben, daß die Menschheit erneuert werden könne, um dann endlich gesund zu sein und auf einer höheren Stufe zu stehen. Pascal ging nicht mehr aus, ließ seine Kranken im Stich und lebte nur in seinen Schriften, ohne frische Luft, ohne körperliche Bewegung. Und nach einem Monat derartiger Überanstrengung, die ihn völlig entkräftete, ohne seine inneren Qualen zu lindern, verfiel er in eine solche nervliche Erschöpfung, daß die Krankheit, die schon seit einiger Zeit in ihm steckte, mit besorgniserregender Heftigkeit zum Ausbruch kam.
    Wenn Pascal jetzt des Morgens aufstand, war er müde und zerschlagen, matter und abgespannter als am Abend zuvor beim Zubettgehen. Er fühlte eine ständige Beklemmung, die Beine wollten ihn nicht mehr tragen, wenn er nur fünf Minuten gegangen war, sein Körper war bei der geringsten Anstrengung wie gerädert, und er konnte keine Bewegung machen, ohne am Ende Angst vor Schmerzen zu empfinden. Zuweilen kam es ihm vor, als wankte plötzlich der Boden unter seinen Füßen. Ständiges Ohrensausen machte ihn schwindlig, es flimmerte ihm vor den

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