Dokument1
Scheißern passiert«, sagte Arnie, und dann setzte er auf eine befremd-lichbeiläufige Art hinzu: »Jedenfalls spielt es jetzt keine Rolle mehr.«
»Arnie, ist alles in Ordnung mit dir?« fragte Dennis betroffen.
Und einen Moment lang zeigte sich ein Ausdruck von verzweifelter Traurigkeit auf Arnies Gesicht - mehr als Traurigkeit.
Er sah geschunden und gequält aus. Es war das Gesicht eines Mannes, dachte Dennis später (es ist einfach, die Dinge später richtig zu sehen, wenn es bereits zu spät ist), der so verstört und verschreckt und müde ist von dem dauernden Kampf um seine Selbstbehauptung, daß er kaum noch weiß, was er tut.
Dann war auch dieser Ausdruck, wie vorher der dunkle Schatten des Mißtrauens, wieder verflogen.
»Sicher«, sagte er, »ich fühle mich großartig. Nur bist du nicht der einzige mit einem verletzten Rücken. Erinnerst du dich, daß ich mich in Philly Plains verrenkt habe?«
Dennis nickte.
»Dann schau dir das mal an.« Arnie stand auf und zog das Hemd aus der Hose. Irgend etwas schien jetzt in seinen Augen zu tanzen. Etwas, das sich in der Tiefe seiner schwarzen Pupillen drehte.
Er hob das Hemd. Was zum Vorschein kam, war nicht so ein altmodisches Ding wie bei LeBay - es war auch sauberer -, ein fleischfarbenes, dreißig Zentimeter breites Lycra-Band, das Arnies Oberkörper stützte - und ein Stützkorsett blieb ein Stützkorsett, dachte Dennis. Es erinnerte ihn viel zu sehr an LeBay.
»Ich muß mir was geholt haben, als ich Christine zurück zu Will brachte«, sagte Arnie. »Kann mich nicht einmal erinnern, wann ich den Knacks bekam, weil ich völlig daneben war.
Vielleicht, als ich sie an den Kranhaken nahm, aber sicher bin ich mir nicht. Zuerst hat es kaum weh getan, aber dann wurden die Schmerzen schlimmer. Dr. Mascia verschrieb mir… Dennis, bist du okay?«
Es schien ihm ungeheure Mühe zu bereiten, seine Stimme unbefangen klingen zu lassen. Er bewegte so lange seine Gesichtsmuskeln, bis er das Gefühl hatte, sie würden ein wohlwollendes Interesse zeigen… und immer tanzte da noch etwas in Arnies Pupillen, hüpfte und tanzte…
»Dein Rücken wird schon wieder besser werden«, sagte Dennis.
»Das denke ich auch«, erwiderte Arnie und steckte das Hemd in den Hosenbund zurück. »Der Arzt sagt, ich soll darauf achten, nichts Schweres mehr zu heben.«
Er lächelte. »Wenn wir noch die Wehrpflicht hätten, brauchte ich deswegen nicht zur Armee«, sagte er.
Abermals unterdrückte Dennis jeden Ansatz einer Bewegung, die man als Verblüffung hätte deuten können. Doch diesmal schob er die Arme unter die Bettdecke. Arnie mußte nicht unbedingt seine Gänsehaut sehen, die er bekommen hatte, als er beim Anblick von Arnies Stützband an LeBays Korsett erinnert wurde.
Arnies Augen - wie schwarzes Wasser unter dünnem grauen März-Eis. Schwarzes Wasser und eine Fröhlichkeit, die tief in ihnen tänzelte wie die strudelnde verweste Leiche eines ertrun-kenen Mannes.
»Hör zu«, sagte Arnie flott. »Ich muß gehen. Ich hoffe, du hast nicht erwartet, daß ich die ganze Nacht in einem so lausigen Obdachlosenasyl verbringe.«
»Typisch Arnie - immer vielbeschäftigt und vielbegehrt«, erwiderte Dennis. »Ernsthaft, Mann, ich bin froh, daß du gekommen bist. Du hast Glanz in meine Hütte gebracht.«
Einen bedrückenden Augenblick lang fürchtete er, Arnie würde in Tränen ausbrechen. Da war nicht mehr dieses tanzende Ding tief in seinen Augen, und vor ihm stand wieder sein Freund - der echte Arnie. Dieser Arnie zeigte ihm auch wieder sein echtes Lächeln: »Denk immer daran, Dennis: niemand vermißt dich. Niemand verlangt nach dir dort draußen.«
»Du kannst mich roh durch einen Strohhalm essen«, erwiderte Dennis feierlich.
»Und du kannst mich…« Arnie deutete auf seine Kehrseite.
Damit waren die Abschiedsformalitäten erledigt; Arnie hob seine beträchtlich geschrumpfte Tasche vom Boden auf, in der die Kerzenhalter und die leeren Bierflaschen aneinander klirrten.
Da hatte Dennis plötzlich eine Inspiration. Er klopfte mit dem Knöchel gegen den Beingips. »Gibst du mir ein Autogramm, Arnie?«
»Das hab’ ich doch schon getan.«
»Ja, aber die Farbe ist abgescheuert. Unterschreibst du noch mal?«
Arnie zuckte mit den Achseln. »Wenn du mir einen Schreiber gibst.«
Dennis holte einen Stift aus der Nachttischschublade. Grinsend beugte Arnie sich über den Gips, der mit Hilfe von Flaschenzügen und Gewichten im schrägen Winkel über dem Bett festgehalten wurde,
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