Dokument1
gefunden. Du nimmst doch keine Drogen, nicht wahr, Arnie?«
Arnie lächelte und sah in ihr bleiches gespanntes Gesicht.
»Nein, Mom.«
»Und wenn deine Schmerzen im Rücken wirklich schlimm werden, dann gehst du doch zu Dr. Mascia, ja? Du würdest dir keine Drogen von irgendeinem Dealer besorgen, oder?«
»Nein, Mom«, wiederholte er und ging.
Es hatte noch mehr Schnee gegeben. Eine kurze Wärmepe-riode hatte das meiste davon weggeschmolzen, doch diesmal taute er nicht vollständig weg; er hatte sich lediglich in den Schatten zurückgezogen, wo er einen weißen Saum unter den Hecken bildete, am Fuß der Bäume, an der Nordwand einer Garage. Trotz des Schnees an den Rändern - oder vielleicht gerade deswegen - sah der Rasen hinter dem Haus seltsam grün aus, als Arnie in das Zwielicht hinaustrat; und sein Vater wirkte wie ein fremder Flüchtling aus dem Sommer, als er die letzten Herbstblätter zusammenscharrte.
Arnie hob kurz die Hand, um seinen Vater zu begrüßen, und schickte sich an, wortlos an ihm vorbeizugehen. Michael rief ihn zu sich. Arnie gehorchte widerstrebend. Er wollte den Bus nicht versäumen.
Auch sein Vater war gealtert in den Stürmen, die Christine heraufbeschworen hatte, obwohl es auch andere Ursachen gab. Er hatte sich im Spätsommer als Dekan für die Historische Fakultät in Horlicks beworben und war abgeblitzt. Und bei seiner jährlichen Routineuntersuchung im Oktober hatte der Arzt ein beginnendes Venenleiden festgestellt - Phlebitis, woran Nixon fast gestorben wäre; Phlebitis, eine Alterserschei-nung. Während der Spätherbst allmählich in diesen typischen düstergrauen naßkalten West-Pennsylvania-Winter überging, wurde Michael Cunningham immer schwermütiger.
»Hi, Dad. Ich muß mich beeilen, wenn ich meinen Bus nicht…«
Michael blickte von dem kleinen Häufchen gefrorener brauner Blätter auf, die er zusammengekratzt hatte. Die untergehende Sonne legte tiefe Schatten in die Furchen seines Gesichts, sie schienen zu bluten. Arnie wich unwillkürlich einen Schritt zurück, so erschrocken war er über das eingefal-lene Gesicht seines,Vaters.
»Arnold«, sagte Michael, »wo bist du letzte Nacht gewesen?«
»Wie…?« stotterte Arnie, schloß langsam den Mund. »Ich war hier, Dad. Das weißt du doch ganz genau.«
»Die ganze Nacht?«
»Natürlich. Ich bin um zehn ins Bett gegangen. Ich war groggy. Warum?«
»Weil mich die Polizei heute anrief«, erwiderte Michael.
»Wegen des Jungen, der in der Nacht auf dem JFK-Drive fiberfahren wurde.«
»Moochie Welch«, sagte Arnie. Er sah seinen Vater mit ruhigen Augen an, die von schwarzen Ringen umgeben waren und tief in ihren Höhlen lagen. Wenn der Sohn vom Aussehen seines Vaters schockiert war, so war der Vater nicht weniger schockiert vom Aussehen seines Sohnes - in der untergehenden Sonne wirkte Arnies Gesicht auf Michael wie ein Totenschädel mit leeren Augenhöhlen.
»Ja, er hieß Welch mit Nachnamen.«
»Es war zu erwarten, daß die Polizei sich melden würde.
Mom weiß nicht, daß er möglicherweise zu den Typen gehörte, die Christine demolierten?«
»Nicht von mir.«
»Ich habe ihr auch nichts davon erzählt. Ich wäre froh, wenn sie es nicht erfährt«, sagte Arnie.
»Vielleicht kommt sie irgendwann dahinter«, sagte Michael.
»Ich bin sogar ziemlich sicher. Sie ist eine außerordentlich intelligente Frau, falls du das noch nicht bemerkt haben solltest. Aber von mir wird sie nichts erfahren.«
Arnie nickte und fragte dann mit einem humorlosen Lächeln:
»>Wo bist du letzte Nacht gewesen?< Dein Vertrauen rührt mich, Dad.«
Michael errötete, aber er ließ das Gesicht seines Sohnes nicht aus den Augen. »Wenn du in den letzten Monaten neben dir selbst gestanden und dich beobachtet hättest«, sagte er, »würdest du verstehen, warum ich gefragt habe.«
»Was, zurrt Teufel, soll das bedeuten?«
»Das weißt du nur zu gut. Es hat kaum Sinn, weiter darüber zu diskutieren. Wir würden uns nur im Kreis drehen. Dein ganzes Leben bricht zusammen wie ein Kartenhaus, und du stehst vor mir und fragst mich, wovon ich rede.«
Arnie lachte. Es war ein barsches, verächtliches Lachen.
Michael schien dabei ein bißchen zusammenzuschrumpfen.
»Mom fragte mich, ob ich Drogen nähme. Vielleicht willst du das auch überprüfen.« Arnie tat so, als wollte er den Ärmel seiner wattierten Jacke hochkrempeln. »Willst du sehen, ob ich Nadeleinstiche habe?«
»Die Frage, ob du Drogen nimmst, halte ich für überflüssig«,
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