Dokument1
nachsehen, aber sie beißt dich schon nicht.«
Sie lächelte - nur ein bißchen, aber das war schon ein Fortschritt. »Und was werde ich dort finden? Eine Tüte Marihuana?«
»Das habe ich im vergangenen Jahr aufgegeben«, erwiderte ich, ebenfalls lächelnd. »Ich schmeiße jetzt Tablettentrips. Dieses Hobby finanziere ich mit dem Verkauf von Heroin an der Junior High School.«
»Im Ernst - was ist es?«
»Arnies Unterschrift«, erwiderte ich, »in Gips verewigt.«
»Seine Unterschrift?«
Ich nickte. »In doppelter Ausfertigung.«
Sie fand die Gipsstücke, und fünf Minuten später saßen wir wieder auf der Couch und betrachteten sie. Sie lagen nebeneinander auf der Glasplatte des Rauchtischs, an den Kanten leicht schartig, vom langen Tragen etwas angeschmuddelt. Auf einem waren auch noch andere Namen zu sehen, die mittendrin endeten. Ich hatte beide Gipsverbände aufgehoben und der Schwester sogar gesagt, wo sie sie aufschneiden sollte.
Später hatte ich dann die beiden rechteckigen Platten selbst herausgetrennt, eines vom linken Bein, das andere vom rechten Bein.
Wir betrachteten sie stumm:
auf der linken Seite;
auf der rechten Seite.
Leigh blickte hoch und sah mich verwirrt und fragend an.
»Diese beiden Stücke stammen aus deinen…«
»Aus meinen Gipsverbänden, ja.«
»Soll das… ein Witz sein?«
»Das ist kein Witz. Ich hab’ gesehen, wie er unterschrieb.«
Nun, da es heraus war, spürte ich ein eigenartiges Gefühl der Erlösung, der Erleichterung. Es tat gut, dieses Geheimnis mit jemandem zu teilen. Es war mir schon lange im Kopf herumge-gangen, hatte dort gebohrt und gewühlt.
»Aber sie sehen gar nicht gleich aus!«
»Was du nicht sagst«, erwiderte ich. »Aber Arnie ist auch nicht mehr so, wie er früher war. Und auch das geht auf diesen gottverfluchten Wagen zurück.« Ich deutete erregt auf das Gipsstück vom linken Verband. »Das ist nicht seine Unterschrift. Ich kenne Arnie fast mein ganzes Leben lang. Ich habe seine Aufsätze gelesen, habe ihn Bestellungen ausfüllen sehen, ich habe in der Bank neben ihm gestanden, wenn er seine Schecks unterschrieb. Das ist nicht seine Unterschrift! Die auf dem rechten Gipsstück - ja. Aber die andere - nein. Würdest du morgen vielleicht etwas für mich erledigen, Leigh?«
»Was?«
Ich erklärte es ihr. Sie nickte bedächtig. »Für uns.«
»Ha?«
»Ich tue das für uns. Weil wir etwas unternehmen müssen, nicht wahr?«
»Ja«, erwiderte ich. »Ich glaube, dazu sind wir verpflichtet.
Nimmst du mir eine persönliche Frage übel?«
Sie schüttelte den Kopf; aber ihre bemerkenswert blauen Augen ließen mein Gesicht nicht los.
»Wie hast du in der letzten Zeit geschlafen?«
»Nicht sehr gut«, erwiderte sie. »Schlimme Träume. Und du?«
»Nein. Nicht so gut.«
Und dann, weil ich mir nicht mehr anders zu helfen wußte, legte ich ihr die Hände auf die Schultern und küßte sie. Da war zunächst ein kurzes Zögern, und ich dachte schon, sie wollte ihr Gesicht wegdrehen… doch dann hob sich ihr Kinn, und sie erwiderte den Kuß fest und entschlossen. Vielleicht hatte ich dazu auch noch Glück, war ich doch weitgehend zur Unbeweg-lichkeit verdammt.
Als der Kuß vorüber war, blickte sie mir fragend in die Augen.
»Gegen die Träume«, sagte ich und hoffte, es würde weniger dämlich und hohl klingen als in schlechten Romanen; statt dessen hörte es sich zittrig und schrecklich ehrlich an.
»Gegen die Träume«, erwiderte sie ernst, als wäre der Kuß ein Talisman, und diesmal neigte sie mir ihr Gesicht zu, und wir küßten uns wieder, während die beiden ausgefransten Gipsbrocken uns anstarrten wie blinde weiße Augen mit Arnies Namen darauf. Wir küßten uns wegen des schlichten animali-schen Wohlbehagens, das aus einer sinnlichen Berührung entsteht - sicher deswegen und wegen etwas mehr, aus dem sich etwas Großes entwickeln konnte -, und dann hielten wir uns wortlos eine Weile umschlungen, und ich glaube nicht, daß wir uns darüber täuschten, was in diesem Augenblick geschah -
jedenfalls nicht hundertprozentig. Es war Wohlbehagen und Trost; aber es war auch reiner, gradliniger Sex - reif, wollüstig und prall gefüllt mit Hormonen. Vielleicht bestand sogar eine Chance, daß es etwas Erfüllteres und Freundlicheres werden konnte als eben nur Sex.
Aber da war noch etwas anderes in diesen Küssen - ich wußte es, sie wußte es, und wahrscheinlich wissen Sie es auch.
Dieses andere war eine schändliche Art von Verrat. Ich konnte
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