Dokument1
antworten kann - ehe mir eine Antwort einfällt - höre ich schon dieses laute entsetzliche Quietschen durchdrehender Reifen auf Beton. Christine springt auf mich los, ihr Kühlergrill ein offener Rachen mit scharfen, chromblitzenden Zähnen, ein tödliches Funkeln in den Augen ihrer Scheinwerfer…
Ich schrie mich wach in der stillen Dunkelheit um zwei Uhr, erschrocken über den wimmernden Laut meiner Stimme und über das Geräusch der Schritte auf der Treppe, das Tappen bloßer Füße draußen im Korridor. Ich hielt das Laken mit beiden Händen fest. Mein Körper war schweißgebadet.
Draußen im Flur hörte ich Ellie ängstlich rufen: »Was war das?«
Das Licht meiner Deckenlampe flammte auf, und da stand Mama in einem Shorty im Türrahmen, in dem sie sich bestimmt nicht vor ihren Kindern gezeigt hätte, wenn es sich nicht um einen dringenden Notfall handelte, und hinter ihr stand mein Daddy, der gar nichts an hatte unter seinem Bademantel, den er sich hastig zuschnürte.
»Was ist denn los, mein Liebling?« fragte Mom. Sie schaute mich hellwach und ängstlich an. Ich weiß nicht, wann sie mich zuletzt »mein Liebling« genannt hatte - als ich vierzehn war?
Zwölf? Ich weiß es nicht.
»Dennis?« fragte mein Vater.
Dann stand auch Elaine, am ganzen Körper zitternd, zwischen den beiden.
»Geht zurück in die Betten«, sagte ich. »Ich habe nur schlecht geträumt.«
»Wau!« sagte Elaine, offensichtlich tief bewegt von ihren eigenen Phantasievorstellungen zu einer so mitternächtlichen Stunde. »Das muß ja ein richtiger Horrorfilm gewesen sein.
Was hast du denn geträumt, Dennis?«
»Ich träumte, du hättest Milton Dodd geheiratet und wärst mit ihm zu mir gezogen«, sagte ich.
»Mach dich jetzt nicht über deine Schwester lustig«, sagte Mom. »Was hast du wirklich geträumt, Dennis?«
»Ich habe es schon wieder vergessen«, sagte ich.
Da bemerkte ich erst das zerknüllte Laken, und daß ein paar Schamhaare hervorlugten. Ich brachte das hastig wieder in Ordnung, mit schuldbewußten Gedanken an Selbstbefriedi-gung, feuchte Träume und weiß Gott was für Möglichkeiten in dieser Richtung. Eine totale Bewußtseinstrübung oder Geistes-verwirrung, die noch ganz im Bann des Alptraums stand. Ich wußte nicht einmal, ob ich als Kind oder als Erwachsener vor der Garage gestanden hatte - nur dieses unheimlich entsetzliche, alles andere verdrängende Bild des Wagens war haften geblieben, der mit wutbebender Motorhaube und aufgesperrtem Kühlerrachen auf mich zusprang…
Letzte Gelegenheit, mein Süßer.
Dann spürte ich die kühle, trockene Hand meiner Mutter auf meiner Stirn. Sie wollte prüfen, ob ich Fieber hätte.
»Es ist alles in Ordnung, Mom«, sagte ich. »Es ist nichts, nur ein Alptraum.«
»Aber du mußt dich doch erinnern können…«
»Nein, Mom. Es ist weg, wie fortgeblasen.«
»Ich hatte Angst«, sagte sie und lachte zitternd. »Man weiß wohl erst, was Angst ist, wenn man sein eigenes Kind mitten in der Nacht so schreien hört.«
»Ach, Mom, mach nicht so einen Wirbel daraus«, sagte Elaine.
»Du gehst jetzt zurück ins Bett, Kleines«, sagte Dad und gab ihr einen Klaps auf den Hintern.
Sie trollte sich, offensichtlich nicht ganz zufrieden mit dieser Entwicklung. Vielleicht hatte sie, nachdem sie ihre eigene Angst überwunden hatte, gehofft, ich würde zusammenbrechen und Schreikrämpfe bekommen. Das hätte mächtig viel Munition geliefert für unsere geschwisterlichen Auseinander-setzungen am Frühstückstisch.
»Bist du wirklich wieder okay?« fragte meine Mutter besorgt.
»Dennis, mein Liebling?«
Abermals dieses Wort, das Erinnerungen weckte an aufgeschlagene Knie, an Stürze vom Schaukelpferd, an ihre Nacht-wachen an meinem Bett, wenn ich, die obligaten Kinderkrank-heiten durchleidend - Mumps, Masern, Scharlach -, in meinen Fieberträumen phantasierte. Wie absurd, daß mir jetzt fast die Tränen gekommen wären. Ich war immerhin dreiundzwanzig Zentimeter größer und siebzig Pfund schwerer als sie.
»Klar bin ich okay«, sagte ich.
»Na gut«, sagte sie. »Laß das Licht an; das hilft manchmal.«
Und mit einem letzten, zweifelnden Blick auf meinen Daddy ging sie. Und ich fragte mich beinahe vergnügt, woher sie wußte, was gegen Alpträume half. In ihrem Skizzenbuch der Liebe und Schönheit war das Phänomen Alptraum nicht einmal andeutungsweise aufgetaucht.
Mein Daddy setzte sich auf mein Bett. »Du kannst dich wirklich nicht mehr erinnern, was du geträumt hast?«
Ich
Weitere Kostenlose Bücher