Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dokument1

Dokument1

Titel: Dokument1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown
Vom Netzwerk:
Lächeln nicht. »Es ist das Rainbow Motel. Es gibt zwei Motels gleich hinter der Ausfahrt.
    Ich wohne in dem billigeren.«
    »Vielen Dank«, sagte ich ein wenig linkisch. »Hören Sie, ich möchte wirklich nur…«
    »Vielleicht geht es weder Sie noch mich etwas an«, unterbrach mich LeBay mit seiner weichen, melodischen Schulleh-rer-Stimme, die sich so sehr von dem knarrenden Kommando-ton seines verstorbenen Bruders unterschied (aber trotzdem auch irgendwie an ihn erinnerte), »was aus diesem Wagen und seinem Besitzer wird…«
    (und der Geruch von so’nem fabrikneuen Wagen ist das Schönste, was man sich auf der Welt vorstellen kann…)
    »Aber soviel kann ich Ihnen jetzt schon sagen: Mein Bruder war kein guter Mensch. Das einzige, was er in seinem ganzen Leben wirklich geliebt hat, war dieser Plyrnouth Fury, den Ihr Freund ihm abkaufte. Und so geht es vielleicht nur die beiden etwas an, die beiden ganz allein, egal, was wir davon halten.«
    Er lächelte jetzt. Es war kein angenehmes Lächeln, und in diesem Augenblick schien mich Roland D. LeBay durch seine Augen anzusehen, und mir lief ein kalter Schauer über den Rücken.
    »Mein Sohn, Sie sind wahrscheinlich noch zu jung, um Weisheiten anderer schon zu beherzigen, aber ich sage es Ihnen trotzdem: Liebe ist ein Feind.« Er nickte bedächtig. »Ja.
    Die Dichter interpretieren die Liebe immer wieder falsch, einige sogar absichtlich. Die Liebe ist nicht die gute Fee, sondern ein Menschenfresser. Liebe ist nicht blind. Die Liebe ist ein außerordentlich scharfsichtiger Kannibale. Die Liebe ist gefräßig wie eine Heuschrecke, immer hungrig, niemals satt.«
    »Und was frißt sie?« fragte ich, zu meiner eigenen Verblüffung, da ich ihn überhaupt nichts fragen wollte. Bis auf meinen Mund waren alle Fasern meines Körpers davon überzeugt, daß er keine Weisheiten predigte, sondern Verrücktheiten.

    »Die Freundschaft«, erwiderte George LeBay. »Die Liebe frißt Freundschaften. Wenn ich Sie wäre, Dennis, würde ich mich von jetzt an auf das Schlimmste gefaßt machen.«
    Er schloß die Tür seiner fahrbaren Konservenbüchse mit einem leisen »Plop!« und ließ den Nähmaschinenmotor anspringen. Er fuhr davon und ließ mich am Rand des geteerten Parkplatzes stehen. Mir fiel ein, daß Arnie mich eigentlich aus der Richtung der Toiletten kommen sehen müßte, also rannte ich schnell hinüber.
    Unterwegs mußte ich daran denken, daß nun die Totengrä-
    ber oder Leichenbestatter oder die Letzte-Ruhe-Spezialisten oder wie sich heutzutage eben solche Leute nannten, daß diese Leute nun LeBays Sarg in die Grube senkten. Ich versuchte, an etwas Erfreulicheres zu denken, doch statt dessen trat ein noch viel schlimmeres Bild vor mein inneres Auge: Roland D. LeBay in seinem mit Seide ausgeschlagenen Sarg, bekleidet mit seinem besten Anzug und seiner besten Unterwäsche - aber ohne sein schmuddeliges, stinkendes Stützkorsett.
    LeBay lag in der Grube in seinem Sarg, die Hände auf der Brust gefaltet - aber warum war ich sicher, daß ein hämisches Grinsen auf seinem Gesicht stand?

    12 Etwas aus der Familiengeschichte

1
    Can’t you hear it out in Needham?
    Route 128 down by the powerlines…
    It’s so cold here in the dark,
    It’s so exciting in the dark..,
    -Jonathan Richmond and the Modern Lovers
    Er hatte recht. Das Rainbow-Motel sah ziemlich mies aus. Ein rechteckiger einstöckiger Kasten mit einer Leuchtschrift über dem Eingang, in der zwei Buchstaben fehlten. Und mit einem geteerten Parkplatz davor, der mehr Löcher hatte als ein Schweizer Käse. Genau der Ort, wo man einen älteren Englisch-Pauker vermutet. Ich weiß, wie deprimierend das klingt, aber es ist nun einmal so. Und morgen würde er den Mietwa-gen wieder am Flugplatz abliefern und heimfliegen nach Paradise Falls in Ohio.
    Das Rainbow-Motel sah wie ein Altenpflegeheim aus, denn das, was sich da in den Liegestühlen auf den Apartment-Terrassen sonnte, die knochigen Knie übereinandergeschlagen, die weißen Socken über die haarigen Waden gezogen, waren durchwegs ältere Herrschaften: die Männer verbraucht, hager und die Gesichter so kantig und verwittert, als wären sie alle pensionierte Bergsteiger, die Frauen dagegen überreichlich mit Pfunden gesegnet, mit dem Fett der späten Jahre. Offenbar hatten gewisse Motels eine magische Anziehungskraft für Leute über fünfzig - jedenfalls habe ich diese Erfahrung gemacht -, als würden diese Adressen von der Telefon-Seelsorge vermittelt. Sie sind immer

Weitere Kostenlose Bücher