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wäre für mich ein Spaziergang - wenn meine Mannschaft in Form gewesen wäre. Aber als Arnie und ich diesen häßlichen Zusammenstoß hinter dem Kiosk in der Nähe der Raucherecke mit Buddy Repperton hatten - ich glaube, das muß in der dritten Schulwoche gewesen sein -, stand es schon so gut wie sicher fest, daß wir nicht in Form waren. Und deshalb war auch mit Coach Puffer nicht gut Kirschen essen, denn in seiner zehnjährigen Laufbahn an der Libertyville High School hatte er immer eine Sieger-Mannschaft trainiert. Das war das Jahr, in dem Coach Puffer lernen mußte, mit dem Mißerfolg zu leben. Es war eine harte Lektion für ihn - und für uns war es auch nicht leicht.
Unser erstes Spiel - ein Auswärtsspiel gegen die Luneburg Tigers - fand am 9. September statt. Nun ist Luneburg ein Kaff, eine kleine unbedeutende, ländliche Oberschule am äußersten westlichen Rand unseres Ligabezirkes, und solange ich in Libertyville Football spielte, hatten wir einen besonderen Schlachtruf für die Mannschaft aus Luneburg erfunden: IN
-LUNEBURG - KÖNNT - IHR - WAS - ERLEBEN -, DA - BLEIBT
- IHR - IN - DER - KUHSCHEISSE - KLEBEN! Auf diesen Spottvers folgte dann ein röhrendes, sarkastisches: RAAAAYYYYYY LUUUUNEBURG!
Es war über zwanzig Jahre her, daß Luneburg zum letztenmal über Libertyville gesiegt hatte, aber in diesem Jahr wuchsen sie über sich selbst hinaus und nahmen uns auseinander.
Ich spielte auf der linken Seite, und in der Halbzeit war ich davon überzeugt, ich wäre von den Narben der Fußballschuh-stollen auf meinem Rücken bis zu meinem Lebensende gebrandmarkt. In der Halbzeit stand es 17:3 für Luneburg. Das Spiel endete 30:10. Die Luneburg-Fans rasten vor Begeisterung, sie rissen ihre eigenen Torpfosten ein, als ob sie die Meisterschaft errungen hätten, und trugen ihre Spieler auf den Schultern vom Feld.
Unsere Fans, die mit Sonderbussen nach Luneburg gekommen waren, saßen mit hängenden Köpfen auf der Tribüne, als hätten sie in der schwülen Hitze des frühen Septembers einen Sonnenstich bekommen. Coach Puffer, totenbleich und geschockt, meinte, wir sollten uns hinknien und Gott um Beistand für die kommenden Wochen bitten. Da wußte ich, daß diese Niederlage keine Ausnahme bleiben würde, sondern erst der Anfang war.
Wir fielen also mit geschundenen Knochen und zahllosen Blutergüssen auf die Knie, obwohl wir nur eines wollten - so rasch wie möglich unter die Dusche zu kommen, um den Schweiß und den Geruch des Verlierers loszuwerden. Dabei hörten wir andächtig zu, wie Coach Puffer in einem zehnminü-
tigen Gebet Gott unser Leid klagte und mit dem Gelübde abschloß, alles zu geben, wenn auch er das Seine dazu täte.
In der nächsten Woche trainierten wir drei Stunden täglich (statt der üblichen neunzig Minuten bis höchstens zwei Stunden) in der mörderischen Hitze. Abends taumelte ich nur noch ins Bett und träumte von seiner bellenden Stimme: »Pack ihn!
Pack den Kerl! Schlag zu!«
Ich übte Sprints, bis ich glaubte, meine Beine würden sich auf der Stelle in Gelee verwandeln (während meine Lunge Hitze-grade erreichte/ daß es jeden Moment zu einer Selbstentzündung kommen mußte). Lenny Barongg, einer unserer Halbstürmer, bekam tatsächlich einen leichten Hitzschlag, so daß er für den Rest der Woche - wie sehr wir ihn beneideten! - vom Training befreit wurde.
Arnie kam donnerstags- oder freitagsabends zu uns zum Essen, und an den Sonntagnachmittagen schaute er sich mit mir auch ein oder zwei Baseball-Reportagen an, doch außerhalb dieser Zeit verlor ich ihn fast vollkommen aus den Augen. Ich konnte vor lauter blauen Flecken kaum noch auf der Schulbank sitzen, hatte nach der Mittagspause Sondertraining und schlug mich abends mit meinen Schularbeiten herum.
Ich darf noch einmal auf meine Football-Leiden zurückkommen - ich glaube, am schlimmsten war die Art, mit der die Leute mich, Lenny und das übrige Team auf den Fluren ansahen. Der ganze »Schul-Korpsgeist« existierte größtenteils nur in den Köpfen des Elternbeirats und der Schulverwaltung, die sich auch noch heute an den Erinnerungen ihrer eigenen Schulzeit ergötzen, als sie an Samstagnachmittagen bei gegrillten Würstchen und Bowle ihre Wettkämpfe veranstalteten, vergessen aber, daß der Reiz dieser Veranstaltungen vor allem aus der Bowle und der anschließenden Knutscherei bestand. Hätte man bei uns eine Rallye zugunsten der Legalisierung von Marihuana veranstaltet, dann hätte sich so etwas wie Korpsgeist
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