Dokument1
Leigh Cabot war - schlicht ausgedrückt - ein schönes Mädchen. Ich habe festgestellt, daß Schriftsteller ihren erfunde-nen weiblichen Charakteren immer irgendeinen Fehler andich-ten, weil sie offenbar der Meinung sind, Schönheit ohne Fehl und Tadel sei ein triviales Klischee, oder weil sie glauben, irgendein Makel mache die Dame realistischer. Sie wäre eine perfekte Schönheit gewesen, wenn sie nicht eine zu lange Unterlippe gehabt hätte, oder trotz ihrer etwas zu kleinen oder zu spitzen Nase, oder trotz ihrer Flachbrüstigkeit war sie schön.
Aber immer war etwas auszusetzen.
Doch Leigh Cabot war nur schön, ohne alle Abstriche. Sie hatte eine makellose Haut mit einem natürlichen Teint. Sie war ungefähr einsachtundsechzig - groß für ein Mädchen, aber nicht zu groß, und ihre Figur war lieblich - straffe Brüste, eine schlanke Taille, die man mit zwei Händen umspannen zu können glaubte (und man hätte es auch gern versucht), sehr hübsche Hüften, wohlgeformte Beine. Ein schönes Gesicht, sexy, gute Figur - vom künstlerischen Standpunkt aus betrachtet vermutlich langweilig, da sie weder mit einer zu langen Unterlippe, noch einer spitzen Nase, noch einer Polsterung an der falschen Stelle aufwarten konnte (nicht einmal einen reizenden, schief stehenden Zahn hatte sie im Mund - sie mußte auch einen perfekten Zahnarzt haben); aber sie zu betrachten, war ganz gewiß nicht langweilig.
Ein paar Jungs hatten bereits versucht, mit ihr auszugehen, waren aber jedesmal liebenswürdig abgewiesen worden. Man nahm an, daß sie vermutlich irgendeinem Typ in Andover oder Braintree oder woher sie auch kommen mochte, die Treue hielt und daß man ihr noch Zeit lassen müsse. Zwei der Kurse, die ich gemeinsam mit Arnie besuchte, waren auch von Leigh Cabot belegt worden, und ich hatte eigentlich immer auf einen günstigen Moment gewartet, um selbst mit ihr anbändeln zu können.
Aber als ich nun die verstohlenen Blicke bemerkte, die sie tauschten, nachdem Arnie das Aufgabenbuch gefunden hatte und sie sich umständlich Notizen machte, fragte ich mich, ob ich noch eine Chance hatte. Doch dann mußte ich über mich selbst grinsen. Arnie Cunningham mit dem Pizza-Gesicht, und Leigh Cabot. Das war lächerlich. Das war…
Dann fror mein innerliches Lächeln ein, denn ich bemerkte zum drittenmal - und jetzt endgültig -, daß Arnies Teint sich mit geradezu atemberaubender Geschwindigkeit gebessert hatte. Die Pickel waren abgeheilt. Sicher, einige hatten kleine Narben auf den Wangen zurückgelassen; aber wenn ein Mann ausgeprägte Gesichtszüge besitzt, scheinen diese Narben kaum zu stören; auf eine verrückte Art können sie einem Gesicht sogar Charakter geben.
Leigh und Arnie sahen sich verstohlen an, und ich,. sah Arnie verstohlen an und fragte mich, wie dieses Wunder geschehen war. Das Sonnenlicht flutete durch die breite Fensterfront des Klassenzimmers und leuchtete Arnies Gesicht aus. Er sah… älter aus. Als hätte er die Pusteln und Pickel nicht nur mit regelmäßiger Gesichtswäsche und Behandlung mit irgendeiner Spezialcreme besiegt, sondern auch dadurch, daß er die Uhr um ungefähr drei Jahre vorgestellt hatte.
Auch trug er jetzt die Haare anders - kürzer geschnitten, und die Koteletten, die er sich hatte wachsen lassen, seit sie wuchsen (ich glaube, das ist achtzehn Monate her), waren verschwunden.
Ich dachte zurück an diesen bewölkten Samstagnachmittag, als wir ins Kino gegangen und den Chuck-Norris-Streifen gesehen hatten. Da war mir das erstemal eine Besserung aufgefallen. Ungefähr um diese Zeit hatte er den Wagen gekauft. Vielleicht war es das. Freuet euch, Teenager dieser Welt! Das Heilmittel für eure Akne-Probleme! Kauft euch einen alten Wagen, und…
Mein heimliches Grinsen verging mir.
Kauft euch einen alten Wagen, und was dann? Er verändert euer Denken, Fühlen und sogar euren Stoffwechsel? Er befreit euer wahres Selbst? Ich glaubte, die Stimme von Stu-key James zu hören, unserem alten Mathelehrer, der mir mit seiner schon etwas brüchigen hohen Stimme seinen oft zitier-ten Wahlspruch zuflüsterte: Wenn wir diesen Gedankengang bis zum bitteren Ende verfolgen, meine Damen und Herren, wohin bringt uns das?
Ja, wohin?
»Vielen Dank, Arnie«, sagte Leigh mit ihrer weichen klaren Stimme. Sie hatte die Aufgaben in ihr eigenes Buch übertragen.
»Keine Ursache.«
Ihre Blicke begegneten sich, sie sahen sich jetzt offen ins Gesicht, und selbst ich konnte spüren, wie der Funke
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